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10.08.2022

Dieselskandal: Zur Verjährung von Schadenersatzansprüchen

Wer ein möglicherweise vom Dieselskandal betroffenes Kraftfahrzeug erworben hat, hätte spätestens bis Ende 2016 prüfen müssen, ob sein Fahrzeug tatsächlich betroffen ist. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) im Zusammenhang mit der Frage nach der Verjährung möglicher Ansprüche des Käufers gegen die Volkswagen AG entschieden.

Die Klägerin nahm die beklagte VW AG wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in ihrem Fahrzeug Audi Q5 2.0 TDI, das im Dezember 2011 bei einem Autohändler als Neuwagen zum Preis von 54.000 Euro erworben worden war, auf Schadenersatz in Anspruch. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet. Der Motor enthielt eine Steuerungssoftware, durch die auf dem Prüfstand beim Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus geringere Stickoxidwerte erzielt wurden als im realen Fahrbetrieb.

Am 22.09.2015 veröffentlichte die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung, wonach Fahrzeuge mit Dieselmotoren des Typs EA 189 im Gesamtvolumen von weltweit elf Millionen Stück auffällig seien. In der Folge wurde über die Thematik in den Medien umfangreich berichtet und diese allgemein als "Abgas-" beziehungsweise "Dieselskandal" bezeichnet. Auch über die Betroffenheit anderer Konzernmarken wie Audi wurde von Anfang an berichtet. Am 25.09.2015 gab die Beklagte öffentlich bekannt, dass an einer technischen Lösung gearbeitet werde. Am 29.09.2015 informierte sie darüber, dass sie einen Aktionsplan erarbeitet habe, nach dem den Behörden Maßnahmen vorgeschlagen, Kunden informiert und eine Webseite zur individuellen Überprüfung erstellt würden. Anfang Oktober 2015 schaltete die Beklagte eine Webseite frei, auf der jedermann unter Eingabe der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ermitteln konnte, ob das Fahrzeug mit einem vom Dieselskandal betroffenen Motor ausgestattet war. Hierüber informierte die Beklagte mit Pressemitteilung vom 02.10.2015, worüber in den Medien berichtet wurde. Daneben bestand die Möglichkeit, sich telefonisch oder schriftlich bei der Beklagten zu informieren, ob in einem konkreten Pkw die Software verbaut ist. Im Dezember 2015 gab die Beklagte das Ziel aus, die Erfüllung der Abgasnormen ohne Beeinträchtigung der Motorleistung, des Verbrauchs und der Fahrleistungen zu erreichen. Kunden wurden gebeten, vor aktiver Kontaktaufnahme zu einem Volkswagen-Partnerbetrieb weitere schriftliche Informationen abzuwarten.

Mit ihrer 2020 eingereichten Klage hat die Klägerin die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zahlung von Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten verlangt. Sie behauptet, erst durch ein Schreiben der Audi AG im Januar 2017 von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs vom Abgasskandal erfahren zu haben. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.

Die Klage hatte in den Vorinstanzen weitgehend Erfolg. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, ein Anspruch der Klägerin auf Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung sei nicht verjährt. Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Der BGH hat die Klage insgesamt abgewiesen.

Der von der Klägerin geltend gemachte Schadenersatzanspruch nach § 826 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sei verjährt. Rechtsfehlerhaft habe das Berufungsgericht angenommen, die Klägerin habe die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis ohne grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 199 Absatz 1 Nr. 2 Fall 2 BGB erst im Jahr 2017 erlangt. Grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs habe vielmehr schon bis Ende 2016 vorgelegen. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB habe daher mit Schluss des Jahres 2016 begonnen und habe durch die 2020 erhobene Klage nicht mehr gehemmt werden können.

Ausgehend von ihrer – außer Streit stehenden – allgemeinen Kenntnis vom Dieselskandal habe die Klägerin spätestens bis Ende 2016 Veranlassung gehabt, die Betroffenheit ihres Fahrzeugs zu ermitteln. Dass sie nach einer allgemeinen Ankündigung der Beklagten, die Kunden zu informieren, kein Anschreiben im Jahr 2016 bekommen haben will, und Kunden Ende 2015 noch gebeten wurden, vor aktiver Kontaktaufnahme zu einem Volkswagen-Partnerbetrieb weitere schriftliche Informationen abzuwarten, habe kein zeitlich unbegrenztes berechtigtes Vertrauen der Klägerin darauf begründet, ihr Fahrzeug sei nicht betroffen. Angesichts der Länge des seit Bekanntwerden des Dieselskandals verstrichenen Zeitraums bestand für die Klägerin nach Ansicht des BGH spätestens bis Ende 2016 Anlass, diese Betroffenheit selbst zu recherchieren. Dies nicht getan zu haben, bewertete der BGH als grob fahrlässig.

Das Berufungsurteil sei auch nicht aus anderen Gründen richtig. Soweit die Klägerin in der Revisionsverhandlung auf hilfsweises Vorbringen betreffend einen Anspruch auf Restschadenersatz nach § 852 Satz 1 BGB Bezug genommen hat, folge auch hieraus keine Haftung der Beklagten. Ein solcher Anspruch setze in Fällen der vorliegenden Art jedenfalls voraus, dass die Beklagte im Verhältnis zum Geschädigten etwas aus dem Fahrzeugverkauf an diesen erlangt hat. Eine solche Vermögensverschiebung im Sinne des § 852 Satz 1 BGB sei im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten zu verneinen.

In der vorliegenden Konstellation des Erwerbs eines von einer Tochtergesellschaft der Beklagten hergestellten und in den Verkehr gebrachten Fahrzeugs, das mit einem von der Beklagten hergestellten und mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motor ausgestattet ist, scheide ein Anspruch des Geschädigten nach § 852 Satz 1 BGB gegen die Beklagte regelmäßig auch dann aus, wenn der Geschädigte das Fahrzeug als Neuwagen erworben hat. Denn in diesen Fällen habe die Beklagte einen wirtschaftlichen Vorteil allenfalls im Zusammenhang mit der Herstellung und Veräußerung des Motors erlangt und nicht durch das spätere Inverkehrbringen des nicht von ihr entwickelten und hergestellten Fahrzeugs, in das der Motor eingebaut wurde. Der schadensauslösende Vertragsschluss über den Fahrzeugerwerb zwischen Geschädigtem und Fahrzeughändler einerseits sowie ein möglicher Vorteil der Beklagten aus der konzerninternen Überlassung des Fahrzeugmotors an den Fahrzeughersteller andererseits beruhten gerade nicht auf derselben – auch nicht nur mittelbaren – Vermögensverschiebung, wie sie der Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB voraussetzt. Dem Motorhersteller, der einen Vorteil bereits mit der Herstellung und Veräußerung des Motors realisiert hat, fließe im Zusammenhang mit dem Abschluss des ungewollten Kaufvertrags und dem hierauf beruhenden Vermögensschaden des geschädigten Fahrzeugerwerbers durch seine (des Motorherstellers) unerlaubte Handlung nichts – mehr – zu.

Auch der Umstand, dass die beklagte Motorherstellerin als Konzernmutter der Fahrzeugherstellerin mit dieser wirtschaftlich verflochten ist, führe zu keiner anderen Beurteilung, so der BGH weiter. Der Umsatzerlös der Tochtergesellschaft aus dem Verkauf eines von ihr hergestellten Fahrzeugs begründe weder unmittelbar noch mittelbar einen damit deckungsgleichen Wertzuwachs des Geschäftsanteils der Muttergesellschaft. Dass nach dem Vortrag der Klägerin zwischen der Beklagten und der Fahrzeugherstellerin ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag besteht, sei ebenfalls unerheblich. Denn insoweit hab die Beklagte allenfalls einen Vorteil im Zusammenhang mit einem etwaigen Gesamtgewinn der Fahrzeugherstellerin im Geschäftsjahr 2011 erzielt, nicht jedoch – worauf es im Rahmen des § 852 Satz 1 BGB entscheidend ankomme – konkret im Zusammenhang mit dem – im Streitfall an den Fahrzeughändler – gezahlten Kaufpreis.

Das angefochtene Urteil habe daher keinen Bestand haben können. Der BGH konnte in der Sache eigenen Angaben zufolge selbst entscheiden, da weitere tatsächliche Feststellungen, die für die jedenfalls Ende 2016 vorliegende grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs oder die Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 852 Satz 1 BGB bedeutsam sein könnten, weder erforderlich noch zu erwarten waren.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.07.2022, VII ZR 422/21