22.04.2021
Rückabwicklung von Bauträgerfällen: Zinsfestsetzung und Festsetzungsverjährung
Der Zinslauf nach § 233a Abgabenordnung (AO) beginnt in Fällen, in denen der Leistungsempfänger zusammen mit dem Leistenden fehlerhaft davon ausgegangen war, Steuerschuldner im Sinne von § 13b Umsatzsteuergesetz (UStG) zu sein, erst nach dem Zeitpunkt des Erlasses eines zugunsten des Leistungsempfängers geänderten Umsatzsteuerbescheides. Dies stellt das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg klar. Der Antrag des Leistungsempfängers auf Umsatzerstattung sei noch kein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
Für eine Hemmung der Verjährung nach § 171 Absatz 14 AO sei nicht erforderlich, dass Personenidentität zwischen dem zur Steuerzahlung Verpflichteten (hier der Bauleistende) und dem zur Erstattung nach § 37 Absatz 2 AO Berechtigten (hier der Bauleistungsempfänger) besteht, heißt es in dem Urteil weiter. Im Streitfall ergebe sich der für § 171 Absatz 14 AO notwendige Zusammenhang aus UStG.
Die Klägerin führte in den Streitjahren 2009 bis 2012 Bauleistungen an ein Bauträgerunternehmen aus. Die Vertragspartner behandelten die Umsätze nach der damaligen Rechtsauffassung der Finanzverwaltung nach § 13b Absatz 2 Nr. 4 UStG mit der Folge, dass das Bauträgerunternehmen die Umsatzsteuer als Leistungsempfänger an das zuständige Finanzamt abgeführt hat. Im September 2019 teilte das beklagte Finanzamt der Klägerin mit, dass die Umsatzsteuer auf ihre Umsätze mit dem Bauträgerunternehmen aus den Jahren 2009 bis 2012 nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22.08.2013 (V R 37/10) nicht von der Leistungsempfängerin, sondern von ihr geschuldet werde. Auf den Antrag des Leistungsempfängers sei diesem im Januar 2019 die Umsatzsteuer erstattet worden. Das Finanzamt erhöhte die Umsatzsteuer mit geänderten Umsatzsteuerbescheiden 2009 bis 2012 jeweils am 25.10.2019 und setzte gegen die Klägerin Zinsen fest.
Die hiergegen erhobene Klage hatte in Bezug auf die Zinsfestsetzung Erfolg. Hinsichtlich der erhöhten Umsatzsteuerfestsetzung wies das FG sie ab.
Die Festsetzung von Zinsen zur Umsatzsteuer 2009 bis 2012 sei rechtswidrig, weil zum Zeitpunkt der Änderung der Umsatzsteuerbescheide gegenüber der Klägerin am 25.10.2019 der Zinslauf gemäß § 233a Absatz 2a AO noch nicht begonnen habe. Nach § 233a Absatz 2a AO beginne der Zinslauf 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis gemäß § 175 Absatz 1 S. 1 Nr. 2 AO eingetreten sei. Das rückwirkende Ereignis sei hier die Forderung der (Rück)Zahlung von Umsatzsteuer durch den Leistungsempfänger. Denn § 27 Absatz 19 UStG führe nur dann zu einer Änderung der Steuerfestsetzung des leistenden Unternehmers, wenn der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer fordert, die er in der Annahme entrichtet hatte, Steuerschuldner zu sein.
Erst die Sachverhaltsänderung, die Forderung der Umsatzsteuererstattung durch den Leistungsempfänger, ermögliche dem Finanzamt die Änderung der Steuerfestsetzung gegenüber der Klägerin. Entscheidungserheblich sei im Streitfall der Zeitpunkt des rückwirkenden Ereignisses. Maßgebend sei, zu welchem Zeitpunkt der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer "fordert". Im Gegensatz zur Auffassung des Finanzamts, das die Forderung mit dem Antrag auf Rückzahlung der Umsatzsteuer durch den Leistungsempfänger gleichstell, sei die Forderung im Sinne des § 27 Absatz 19 UStG erst mit der Stattgabe des Antrags gegeben, so das FG.
Denn die Begriffe "fordern" und "Antrag stellen" seien nicht deckungsgleich. Allein die Stellung eines Antrags bedeute noch nicht, dass dieser Erfolg haben und es zu einer Forderung, einer Auszahlung bereits geleisteter Umsatzsteuer kommen werde. Allein der Antrag auf Erstattung der Umsatzsteuer durch den Leistungsempfänger sei noch nicht das rückwirkende Ereignis, zumal ein Antrag auch noch zurückgenommen werden könne. Voraussetzung für die Änderung nach § 27 Absatz 19 S. 1 UStG sei vielmehr der Anspruch auf Zahlung. Bezogen auf den Streitfall bedeute dies, dass der Leistungsempfänger erst dann eine Forderung gegenüber dem für ihn zuständigen Finanzamt im Zeitpunkt des Erlasses des zu seinen Gunsten erlassenen geänderten Umsatzsteuerbescheids habe. Das "fordern" im Sinne des § 27 Absatz 19 UStG liege erst zu diesem Zeitpunkt vor und damit erst zu diesem Zeitpunkt ein rückwirkendes Ereignis. Erst nach diesem Zeitpunkt könne der Zinslauf nach § 233a Absatz 2a AO beginnen. Da das Guthaben an den Leistungsempfänger im Januar 2019 erstattet worden sei, habe zum Zeitpunkt der Änderung der Umsatzsteuerbescheide gegenüber der Klägerin am 25.10.2019 der Zinslauf gemäß § 233a Absatz 2a AO noch nicht begonnen.
Anders als die Zinsfestsetzungen seien die geänderten Umsatzsteuerbescheide 2009 bis 2012 rechtmäßig. Die Klägerin schulde die Umsatzsteuer nach § 13a Absatz 1 Nr. 1 UStG als leistender Unternehmer. § 13b Absatz 5 S. 2, Absatz 2 Nr. 4 UStG komme nicht zur Anwendung. Der Leistungsempfänger sei nicht Steuerschuldnerin nach § 13b UStG, da er im Streitzeitraum eigene Grundstücke bebaut habe beziehungsweise bebauen ließ und sodann umsatzsteuerfrei veräußert oder vermietet habe.
Das Finanzamt sei nach § 27 Absatz 19 UStG zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen befugt gewesen. Voraussetzung hierfür sei, dass dem leistenden Unternehmer ein abtretbarer Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer gegen den Leistungsempfänger zustehe. Ein solcher Anspruch habe der Klägerin im Zeitpunkt des Erlasses der geänderten Umsatzsteuerfestsetzungen unter Beachtung von § 313 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zugestanden. Die Klägerin habe gegenüber dem Leistungsempfänger einen Anspruch auf Vertragsanpassung nach § 313 Absatz 1 BGB. Die Vertragspartner seien bei Vertragsabschluss davon ausgegangen, dass der Leistungsempfänger Steuerschuldner der Umsatzsteuer sei. Mithin sei die Klägerin berechtigt, die Anpassung des Vertrags zu verlangen mit der Folge, dass sich ihr Vergütungsanspruch um die von ihr für die Leistungen geschuldete Umsatzsteuer erhöhe.
Festsetzungsverjährung sei noch nicht eingetreten. Der Ablauf der Festsetzungsfrist sei nach § 171 Absatz 14 AO gehemmt. Der Erstattungsanspruch nach § 37 Absatz 2 AO der Leistungsempfängerin stehe in einem Zusammenhang mit der Umsatzsteuer für 2009 bis 2012 der Klägerin. Denn erst die Erstattungsforderung des Leistungsempfängers ermögliche die Änderung nach § 27 Absatz 19 UStG. Nach § 171 Absatz 14 AO ende die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch nicht, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch nach § 37 Absatz 2 AO noch nicht verjährt sei. Nach dem Wortlaut des § 171 Absatz 14 AO sei für eine Änderung nicht erforderlich, dass eine Personenidentität zwischen dem zur Steuerzahlung Verpflichteten – im Streitfall die Klägerin – und dem zur Erstattung nach § 37 Absatz 2 AO Berechtigten – im Streitfall dem Leistungsempfänger – bestehe.
Der Zusammenhang im Sinne des § 171 Absatz 14 AO ergebe sich aus dem UStG. Die von der Klägerin ausgeführten Umsätze würden in den Streitjahren denselben Besteuerungsgegenstand und denselben Besteuerungszeitraum wie bei ihrem Leistungsempfänger betreffen. Außerdem ergebe sich ein Zusammenhang aus § 27 Absatz 19 UStG. Im Streitfall wäre, wenn die Klägerin mit dem Beklagten eine Abtretung vereinbart hätte, die sich aus den geänderten Umsatzsteuerfestsetzungen entstandene Umsatzsteuerschuld erloschen. Das Finanzamt hätte mit den an ihn abgetretenen Nachzahlungsansprüchen des Bauunternehmens aufrechnen können. Dieser Zusammenhang entfalle nicht dadurch, dass die Klägerin bewusst auf eine Abtretung verzichtet habe. Für eine Änderungsbefugnis nach § 27 Absatz 19 UStG komme es auf einen abtretbaren Anspruch auf Zahlung der Umsatzsteuer an.
Der Erstattungsanspruch des Leistungsempfängers sei auch vor Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist entstanden. Das Ereignis, das die Hemmung hervorgerufen habe, der Erstattungsanspruch des Leistungsempfängers, sei zu einem Zeitpunkt eingetreten, in dem die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen gewesen sei. Der Erstattungsanspruch sei schon mit der Zahlung der Umsatzsteuer des Leistungsempfängers an das zuständige Finanzamt als vermeintliche Steuerschuldnerin nach § 13b UStG entstanden. Es sei rechtsgrundlos gezahlt worden. Zahlungen habe der Leistungsempfänger frühestens ab den Voranmeldungszeiträumen 2009 geleistet. Die Verjährung beginne mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist (§ 229 Absatz 1 S. 1 AO) und damit für Leistungen im Jahr 2009 frühestens mit Ablauf des Jahres 2009. Vor Ablauf der fünfjährigen (Zahlungs-)Verjährungsfrist (§ 228 S. 2 AO) – mit Schreiben vom 13.12.2013 – habe der Leistungsempfänger gegen die Finanzbehörde einen Anspruch geltend gemacht. Der Antrag auf Erstattung nach § 37 Absatz 2 AO hemme den Ablauf der Verjährungsfrist.
Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt, die beim Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen V R 27/20 läuft.
Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 23.07.2020, 12 K 2945/19, nicht rechtskräftig