12.02.2025
Geschäftsführerhaftung für Kartellbußgelder: EuGH soll entscheiden
Kann ein Unternehmen, gegen das ein Bußgeld wegen eines Kartellrechtsverstoßes verhängt worden ist, seine Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder dafür in Regress nehmen? Diese Frage legt der Bundesgerichtshof (BGH) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor.
Eine GmbH und eine AG (Klägerinnen) sind Teil einer in der Edelstahlproduktion tätigen Unternehmensgruppe. Der Beklagte war Geschäftsführer der GmbH und zugleich Vorstandsmitglied, zuletzt Vorstandsvorsitzender der AG. Er beteiligte sich von 2002 bis 2015 an einem Preiskartell unter Unternehmen der Stahlindustrie. Deswegen verhängte das Bundeskartellamt Bußgelder gegen die GmbH in Höhe von 4,1 Millionen Euro und gegen den Beklagten in Höhe von 126.000 Euro.
Die Klägerinnen verlangen vom Beklagten die Erstattung des gegen die GmbH verhängten und bezahlten Bußgelds sowie Ersatz für der AG zur Abwehr des Bußgelds entstandene IT- und Anwaltskosten in Höhe von einer Million Euro. Darüber hinaus begehren sie die Feststellung, dass der Beklagte ihnen alle weiteren Schäden zu ersetzen hat, die aus dem Kartellverstoß folgen. Sie machen geltend, der Beklagte habe durch seine Beteiligung an den Kartellabsprachen seine Pflichten als Geschäftsführer und Vorstandsmitglied verletzt.
Das Landgericht hat die Klagen auf Erstattung des Bußgelds und der Rechtsverteidigungskosten abgewiesen, jedoch festgestellt, dass der Beklagte zum Ersatz der aus dem Kartellverstoß resultierenden weiteren Schäden verpflichtet ist. Die Berufungen der Klägerinnen und des Beklagten sind erfolglos geblieben. Der BGH hat die Sache dem EuGH vorgelegt.
Nach § 43 Absatz 2 GmbHG und § 93 Absatz 2 Satz 1 AktG haften Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder, die ihre Obliegenheiten verletzen, der Gesellschaft für den entstandenen Schaden. Die Beteiligung des Beklagten an dem nach Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) verbotenen Preiskartell ist laut BGH eine vorsätzliche Pflichtverletzung. Der GmbH sei infolge des Bußgelds auch ein Schaden entstanden. Allerdings könnte der Rückgriff auf das Vermögen des Geschäftsführers Sinn und Zweck der Verbandsbuße widersprechen, gibt der BGH zu bedenken. Dann könnte eine einschränkende Auslegung des § 43 Absatz 2 GmbHG geboten sein. Ob das der Fall ist, sei umstritten.
Für die Beantwortung dieser Frage hält der BGH es auch für erheblich, ob das Unionsrecht eine einschränkende Auslegung des § 43 Absatz 2 GmbHG und § 93 Absatz 2 Satz 1 AktG gebietet. Die nähere Ausgestaltung der Geldbußen falle zwar in die Kompetenz der Mitgliedstaaten. Nach der Rechtsprechung des EuGH hätten die Mitgliedstaaten aber sicherzustellen, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Geldbußen gegen Unternehmen verhängen können, wenn diese vorsätzlich oder fahrlässig gegen Artikel 101 AEUV verstoßen.
Mit diesen Geldbußen sollen rechtswidrige Handlungen der betreffenden Unternehmen geahndet und sowohl diese Unternehmen als auch andere Wirtschaftsteilnehmer von künftigen Verletzungen der Wettbewerbsregeln des Unionsrechts abgeschreckt werden. Die danach gebotene Wirksamkeit von Geldbußen gegenüber Unternehmen könnte beeinträchtigt sein, wenn sich die Gesellschaft von der Bußgeldlast durch Rückgriff auf das Leitungsorgan vollständig oder teilweise entlasten könnte. Wie der EuGH zu erkennen gegeben hat, könnte eine Geldbuße sehr viel von ihrer Wirksamkeit einbüßen, wenn das betroffene Unternehmen berechtigt wäre, sie auch nur teilweise steuerlich abzusetzen. Daher stellt sich für den BGH auch die Frage, ob die Abwälzung der Geldbuße des Unternehmens auf den Geschäftsführer nach Maßgabe gesellschaftsrechtlicher Vorschriften den Zweck der kartellrechtlichen Geldbuße beeinträchtigt.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.02.2025, KZR 74/23