11.02.2025
Kindesschutzrechtliche Maßnahmen: Dienen nicht der Bestrafung eines Elternteils
Kindesschutzrechtliche Maßnahmen sind streng am Kindeswohl zu orientieren. Sie dienen nicht der Bestrafung eines Elternteils oder allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen. Das immer noch herangezogene, überkommene Konzept der so genannten Eltern-Kind-Entfremdung ist nach dem jetzigen Stand der Wissenschaft und Forschung abzulehnen. Das stellt das Oberlandgericht (OLG) Frankfurt am Main klar.
Die Eltern von zwölf, zehn und sieben Jahre alten Kinder streiten um die elterliche Sorge. Sie sind verheiratet und leben seit Sommer 2022 getrennt. Das Sorgerecht üben sie gemeinsam aus. Seit dem Getrenntleben haben die Kinder ihren Lebensmittelpunkt im Haushalt der Mutter. Die Eltern führen seit Beginn der Trennung kindschaftsrechtliche Verfahren. Es kam immer wieder zu massiv eskalierten Konflikten. Ein dauerhaft regelmäßiger und stabiler Umgang mit dem Vater ließ sich nicht etablieren. Dafür machte der Vater die Mutter verantwortlich, weil diese die Kinder entsprechend manipulieren würde.
Schließlich beantragte der Vater, ihm die alleinige elterliche Sorge zu übertragen. Das Amtsgericht (AG) holte ein Sachverständigengutachten ein, das eine temporäre Fremdunterbringung der Kinder thematisierte. Die Mutter aber lehnte das ab. Daraufhin entzog das AG den Eltern die elterliche Sorge und das Aufenthaltsbestimmungsrecht und übertrug es auf das Jugendamt. Die Kinder wurden sodann in einer Wochengruppe untergebracht und verbrachten die Wochenenden im Wechsel bei ihren Eltern.
Gegen diese Entscheidung des AG haben beide Eltern Beschwerde eingelegt. Auf einen Hinweis des OVG kehrten die Kinder in den Haushalt der Mutter zurück. Das OVG hat nun beschlossen, das Sorgerecht wieder den Eltern zur gemeinsamen Ausübung zuzuweisen. Der vom AG angeordnete Entzug sei unverhältnismäßig gewesen, begründete es seine Entscheidung. Im Rahmen einer differenzierten Aufklärung und Gefahrenabwägung sei der hier zum Zweck der Fremdunterbringung beschlossene Sorgerechtsentzug nicht das für die Kinder einzig gebotene und verhältnismäßige Mittel gewesen, um ihre Gesamtsituation zu verbessern.
Einerseits sei zwar die Beeinträchtigung der Kinder durch den hochkonflikthaften Umgangsstreit ihrer Eltern zu berücksichtigen, andererseits aber auch die mit der Herausnahme aus dem Haushalt der Mutter für die Kinder offensichtlich verbundenen schwerwiegenden Entwicklungsrisiken. "Der Umzug in die Wochengruppe (...) bedeutete (...) eine komplette Entwurzelung – von ihrem Zuhause, ihrer Mutter als Hauptbezugsperson, der weiteren Familie, ihren Freunden, ihren bisherigen Schulen wie auch ihrem sozialen Umfeld im Übrigen", so das OLG. Es gebe derzeit auch keinen empirischen Beleg für die Wirksamkeit einer Herausnahme eines Kindes aus dem Haushalt eines angeblich manipulierenden, entfremdenden Elternteils. Dies sei im Sachverständigengutachten verkannt worden.
Soweit wesentliche Anteile der Konfliktdynamik der Eltern im Verhalten der Mutter begründet seien, seien kindesschutzrechtliche Maßnahmen streng am Kindeswohl zu orientieren. Der "Ausgleich persönlicher Defizite zwischen den Eltern oder die Sanktionierung vermeintlichen Fehlverhaltens" sei nicht Maßstab und Ziel einer Sorgerechtsentscheidung, stellt das OLG abschließend klar.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 29.01.2025, 1 UF 186/24, anfechtbar