16.12.2024
Trotz Schütteltraumas: Verfassungsbeschwerde gegen Rückübertragung des Sorgerechts auf Eltern erfolglos
Gegen die Eltern eines Babys besteht der Verdacht, ein Schütteltrauma bei dem Kind herbeigeführt zu haben. Deswegen war ihnen zeitweilig das Sorgerecht entzogen worden. Jetzt wird es auf sie zurückübertragen. Der für das Kind bestellte Verfahrensbeistand konnte vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nichts dagegen ausrichten.
Das im Sorgerechtsverfahren als Beschwerdegericht zuständige Oberlandesgericht (OLG) hatte den zeitweiligen Entzug des Sorgerechts nicht aufrechterhalten, den Eltern aber Auflagen – insbesondere den Aufenthalt in einer Eltern-Kind-Einrichtung – erteilt, um der Gefahr zukünftiger Schädigungen des Kindes durch seine Eltern zu begegnen.
Der Verfahrensbeistand sah in dieser gerichtlichen Entscheidung eine Verletzung des aus dem Grundgesetz folgenden Schutzanspruchs des Kindes gegen den Staat, blieb aber mit der Verfassungsbeschwerde erfolglos.
Die Eltern hatten ihr gut vier Wochen altes Kind in einem Krankenhaus vorgestellt. Untersuchungen des Kindes dort sowie in einer Kinderklinik zeigten Verletzungen unter anderem der harten Hirnhaut und des Hirngewebes, als deren Ursache vor allem ein Schütteltrauma "stark im Vordergrund stehend" angenommen wurde.
In dem daraufhin eingeleiteten Sorgerechtsverfahren hat sich das Familiengericht – gestützt vor allem auf das Gutachten eines rechtsmedizinischen Sachverständigen – davon überzeugt, dass das Kind zwei jeweils durch einen Elternteil verursachte, potentiell lebensgefährliche Schütteltraumata erlitten hat. Wegen der daraus abgeleiteten Gefahr weiterer Schädigungen des Kindes im elterlichen Haushalt hat es den Eltern weite Teile des Sorgerechts entzogen.
Auf deren Beschwerde hat das OLG den Beschluss des Familiengerichts aufgehoben und klarstellend ausgesprochen, dass damit den Eltern das Sorgerecht wieder vollständig zustehe. Es hat den Eltern allerdings die Auflage erteilt, sich gemeinsam mit dem Kind in eine Eltern-Kind-Einrichtung zu begeben und dort für eine vom Jugendamt festgelegte Zeit zu verbleiben sowie nach dem Ende des dortigen Aufenthalts ambulante Anschlussmaßnahmen in Anspruch zu nehmen.
Es bestehe zwar die hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Verletzungen des Kindes von dem einen oder dem anderen Elternteil verursacht worden seien. Das trotz des mittlerweile höheren Alters des Kindes verbleibende Risiko erneuter, aber weniger schwerwiegender als der in der Vergangenheit festgestellten Verletzungen des Kindes könne zwar nicht vollständig ausgeschlossen werden. Unter Berücksichtigung des Grades der Wahrscheinlichkeit und der Schwere möglicher Verletzungsfolgen sei zur Gefahrenabwendung eine dauerhafte Fremdunterbringung des Kindes aber nicht erforderlich. Durch die Aufnahme der Familie in einer Eltern-Kind-Einrichtung könne das Eintreten einer Überforderungssituation aber sicher vermieden werden.
Laut BVerfG hält der Beschluss des OLG verfassungsrechtlicher Prüfung noch stand. Die Prognose, einer zukünftig drohenden Kindeswohlgefährdung mit den von ihm erteilten Auflagen ausreichend sicher entgegenwirken zu können, sei gemessen mit seinem grundgesetzlichen Anspruch auf staatlichen Schutz verfassungsrechtlich hinzunehmen.
Ob die festgestellten, für die Gefahrenprognose bedeutsamen Umstände auch ein anderes als das vom OLG gefundene Ergebnis der Prognose erlaubt hätten, unterliege nicht der verfassungsgerichtlichen Prüfung. Diese erstrecke sich auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, umfasse aber keine eigene Gefahrenprognose durch das BVerfG, so die Verfassungsrichter abschließend.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20.11.2024, 1 BvR 1404/24