04.12.2024
Berufstypische Handlung: Wann machen sich Steuerberater wegen Beihilfe strafbar?
Strafrechtlich wurde sie verurteilt, doch die Zivilgerichte widersprachen: Wann eine Steuerberaterin Beihilfe zum Betrug begeht, erläutert die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) im Zusammenhang mit einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH).
Der BGH habe sich darin zur zivilrechtlichen Haftung einer Steuerberaterin wegen Beihilfe zum Betrug ausführlich zur Strafbarkeit berufstypisch "neutraler" Tätigkeiten sowie deren gerichtlicher Feststellung geäußert: Es komme nicht darauf an, dass man "positive Kenntnis" eines strafbaren Schneeballsystems nachweisen müsse. Vielmehr reiche es, wenn die Angeklagte dieses erkannt und billigend in Kauf genommen habe. Auch müsse das Gericht nicht "zwingend" von ihrem bedingten Vorsatz ausgehen, es reichten geringere Anforderungen an die richterliche Überzeugung. Auch dürfe sich die Beweiswürdigung nicht darauf beschränken, Indizien isoliert zu betrachten – es komme vielmehr auf eine Gesamtschau aller Umstände an. Und schließlich dürften keine Zeugenaussagen übergangen werden (Beschluss vom 07.11.2024, III ZR 79/23).
Der zugrunde liegende Sachverhalt ist laut BRAK recht komplex. Zwei Geschäftsführer – einer von ihnen wurde im Lauf der Geschäftstätigkeit der Ehemann der jetzt beklagten Steuerberaterin – hätten ein so genanntes Schneeballsystem betrieben. Sie hätten vorgegeben, elektronische Datenspeicher zu vermieten und daraus Einnahmen zu generieren. Anleger hätten in ihr Geschäftsmodell investieren können. Tatsächlich aber existierten die Datenspeicher genauso wenig wie die Mieteinnahmen. Die Investitionen seien die einzige Einnahmequelle gewesen. Als das Geschäft zunehmend schlechter lief, habe sich einer der Geschäftsführer selbst angezeigt. Er sei zu einer Haftstrafe von über acht Jahren verurteilt worden. Der andere Geschäftsführer, der Ehemann der Beklagten, und sie selbst seien zunächst als Mittäter angeklagt worden. Nachdem der Ehemann in der Untersuchungshaft gestorben war, legte die Beklagte laut BRAK ein Geständnis ab und wurde lediglich wegen Beihilfe zum Betrug zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Ihr Einkommen von fast 350.000 Euro wurde eingezogen.
Nunmehr würden die Anleger die Steuerberaterin auf Rückzahlung geleisteter Summen in Höhe von circa 50.000 Euro wegen Beilhilfe zum Betrug (§§ 823 Absatz 2, 830 Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – in Verbindung mit §§ 263, 27 Strafgesetzbuch) und vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) verklagen. Im Zivilprozess aber habe die Beklagte vorgetragen, sie habe das Geständnis im Strafprozess nur abgelegt, um einer Haftstrafe zu entgehen. Es sei aber eine Lüge gewesen, sie habe von nichts gewusst. Die Vorinstanzen – die nicht an die strafrechtliche Verurteilung gebunden sind – glaubten ihr laut BRAK und wiesen die Klagen ab. Die Revision zum BGH habe nun aber Erfolg gehabt. Eine andere Strafkammer müsse sich nun erneut nach den Vorgaben des BGH mit dem Sachverhalt auseinandersetzen.
Der BGH rügte nach Angaben der BRAK gleich mehrere Rechtsfehler der Vorinstanz und nutzte die Gelegenheit, die Voraussetzungen der Strafbarkeit der Beihilfe bei berufstypischen Handlungen auszuführen. Zudem habe der BGH der Vorinstanz einige prozessuale Anforderungen mit auf den Weg gegeben:
Zunächst habe das Berufungsgericht den Prüfungsmaßstab unzulässig verkürzt, indem es allein auf die positive Kenntnis des Schneeballsystems abgestellt habe. Gehilfenvorsatz liege schließlich auch vor, wenn der Gehilfe zwar nicht alle Einzelheiten, aber dennoch die zentralen Merkmale der Haupttat sowie deren Förderung durch sein Verhalten kenne oder zumindest im Sinne bedingten Vorsatzes für möglich halte und in Kauf nehme. Bei berufstypisch "neutralen" Handlungen komme eine Strafbarkeit daher nicht nur bei positiver Kenntnis der Haupttat in Betracht. Es reiche, dass das von der Steuerberaterin erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des Haupttäters derart hoch war, dass sie sich mit ihrer Hilfeleistung einen "erkennbar tatgeneigten Täter" fördern wollte. Dies habe das Berufungsgericht jedoch nicht ausreichend geprüft – wie auch die Kritik des BGH an weiteren Prüfungen des OLG zeigte.
Darüber hinaus habe das OLG überspannte Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung gestellt. Es habe bei der Würdigung der einzelnen Belastungsindizien rechtsfehlerhaft verlangt, dass sich daraus "zwingende" Schlüsse ergeben müssten. Es reiche hingegen bereits ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lasse. Dies gelte in besonderem Maß bei der Würdigung von Indizien.
Auch die isolierte Würdigung der einzelnen Beweisindizien ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft der Beklagten sprechenden Umstände sei rechtsfehlerhaft. Diese Vorgehensweise lasse die erforderliche Gesamtschau der Beweisergebnisse vermissen. Vorliegend sei nicht nur möglich, sondern sogar naheliegend, dass das Berufungsgericht auch den subjektiven Tatbestand der Beihilfe bejaht hätte, wenn es die Indizien in dieser Gesamtschau umfassend gewürdigt hätte. Nicht nur habe die Frau ein glaubwürdiges Geständnis abgelegt. Auch zahlreiche andere Indizien hätten dafür gesprochen, dass sich der Verdacht für die Steuerberaterin aufgedrängt haben musste. Auch einer als Buchhalterin beschäftigten Zeugin seien diesbezüglich sehr viele Ungereimtheiten aufgefallen.
Bezüglich besagter Zeugin habe das Berufungsgericht zudem den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör verletzt. Denn das Gericht habe sich damit begnügt, die von den Klägern angeführte Aussage der Zeugin ohne nähere Würdigung pauschal als unerheblich anzusehen.
Bundesrechtsanwaltskammer, PM vom 03.12.2024