21.02.2024
Klimaaktivist: Freispruch wegen Beteiligung an Straßenblockaden aufgehoben
Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hat einen Freispruch gegen einen Klimaaktivisten wegen seiner Beteiligung an drei Straßenblockaden aufgehoben. Der Entscheidung liegt eine Sprungrevision der Staatsanwaltschaft gegen ein Urteil des Amtsgerichts (AG) Freiburg zugrunde, mit dem der Angeklagte vom Vorwurf der Nötigung in drei Fällen freigesprochen worden war.
Der Angeklagte nahm drei Mal an nicht angemeldeten und nicht angekündigten Straßenblockaden des Aktionsbündnisses "Aufstand Letzte Generation" teil. Die Blockaden führten teilweise zu einem völligen Erliegen des Verkehrs, teilweise zu vorübergehenden und teilweise zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen.
Mit den Sitzblockaden wollte der Angeklagte laut AG auf das Problem der Lebensmittelverschwendung hinweisen und für ein "Essen-Retten-Gesetz" eintreten, nach dem große Supermärkte genießbares Essen nicht mehr wegwerfen dürften, sondern weiterverteilen müssten. Durch die Demonstrationen wollte der Angeklagte sowohl bei den Medien als auch bei den Autofahrern Aufmerksamkeit für die Verschwendung von Lebensmitteln und den zu hohen CO2-Ausstoß insgesamt schaffen. Zudem tritt die "Letzte Generation" für eine Mobilitätswende ein und fordert eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h auf Autobahnen. Das Aktionsbündnis wollte mit den Blockaden auch darauf hinweisen, dass die Bundesregierung zu wenig für den Klimaschutz unternehme.
Das AG sprach den Angeklagten aus rechtlichen Gründen frei. Es sah zwar jeweils den Tatbestand der Nötigung als verwirklicht an, verneinte jedoch in allen Fällen die die Rechtswidrigkeit begründende Verwerflichkeit.
In dem auf die bloße Kontrolle von Rechtsfehlern beschränkten Revisionsverfahren hat das OLG zunächst die Bewertung des AG bestätigt, nach der gemäß der so genannten Zweite-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in allen Fällen der Tatbestand der Nötigung verwirklicht wurde. Das Handeln der jeweils weiteren Beteiligten an der Straßenblockade war dem Angeklagten dabei nach den Regeln der Mittäterschaft zuzurechnen.
Die Bewertung des AG, dass alle drei Taten nicht verwerflich – und daher nicht rechtswidrig – gewesen seien, hielt dagegen der rechtlichen Überprüfung durch das OLG nicht stand. Der Begriff der Verwerflichkeit sei nicht im Sinne eines moralischen Werturteils zu verstehen, sondern meine sozialwidriges Verhalten. Bei der Beurteilung, ob ein Verhalten verwerflich sei, müssten deshalb alle für die Mittel-Zweck-Relation wesentlichen Umstände und Beziehungen erfasst und eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechte, Güter und Interessen nach ihrem Gewicht in der sie betreffenden Situation vorgenommen werden. In diesem Rahmen seien auch die Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente seien deshalb unter anderen die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, etwaige Ausweichmöglichkeiten sowie der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand.
Eine Abwägung nach diesen Maßstäben könne nach den Vorgaben der Strafprozessordnung nur auf der Grundlage der dazu im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen insbesondere zum Ausmaß der durch eine Straßenblockade herbeigeführten Beeinträchtigungen vorgenommen werden. Dies betreffe auch die durch die örtlichen und zeitlichen Verhältnisse bestimmte Verkehrssituation im Einzelfall. Das Urteil des AG sei insoweit lückenhaft, weil es nicht zu allen für die Abwägung maßgeblichen Umständen hinreichende Feststellungen getroffen habe. So habe es die Dauer der Blockade und das Ausmaß der durch sie ausgelösten Verkehrsbeeinträchtigung nicht in jedem Fall konkret genug festgestellt. In allen Fällen fehle es zudem an hinreichenden Feststellungen zu Ausweichmöglichkeiten für die von den Straßenblockaden betroffenen Verkehrsteilnehmern.
Auch darüber hinaus sei das AG dem verfassungsrechtlich vorgegebenen Prüfungsmaßstab nicht vollständig gerecht geworden. Insbesondere habe es nicht ausreichend in seine Abwägung eingestellt, in welcher Beziehung die von den Blockaden betroffenen Personen zu dem Kommunikationsanliegen des Angeklagten standen. Die blockierten Autofahrer hätten nur zu einem Teil des verfolgten Anliegens – nämlich als CO2-Emittenten und zur Forderung nach einem Tempolimit auf Autobahnen – einen direkten Bezug aufgewiesen. Zu dem Thema der Lebensmittelverschwendung habe dagegen allenfalls eine mittelbare Verbindung bestanden.
Das OLG hat das freisprechende Urteil des AG Freiburg daher aufgehoben. Weil dem OLG eine abschließende Beurteilung der Sache nicht möglich war, hat es das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafrichterabteilung des AG Freiburg zurückverwiesen. Abschließend hat es darauf hingewiesen, dass ungeachtet der noch im Einzelnen zu treffenden Feststellungen jedenfalls bei einer unangekündigten Blockade einer Hauptverkehrsstraße über einen nicht unerheblichen Zeitraum, die mangels hinreichender Ausweichmöglichkeiten zu einem erheblichen Rückstau mit erheblicher Zeitverzögerung für die davon betroffenen Personen führe, angesichts des nur teilweisen Bezugs der von der Blockade betroffenen Personen mit den von dem Angeklagten und seinen Mitstreitern verfolgten Zielen die Verneinung der Verwerflichkeit eher fernliegen dürfte.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 20.02.2024, 2 ORs 35 Ss 120/23, unanfechtbar