30.11.2023
Dieselskandal: Auch Wohnmobil-Hersteller kann für Differenzschaden haften
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, unter welchen Voraussetzungen der italienische Hersteller des Basisfahrzeugs eines Wohnmobils nach § 823 Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit §§ 6 Absatz 1, 27 Absatz 1 EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung (EG-FGV) haftet, wenn in dem Wohnmobil eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist.
Der Kläger kaufte im April 2018 in Deutschland von einem Dritten ein neu hergestelltes Wohnmobil der Marke Fiat für 52.300 Euro. Für die Finanzierung wandte er weitere 5.483 Euro auf. Herstellerin des Basisfahrzeugs des Wohnmobils ist die Beklagte, eine Kapitalgesellschaft italienischen Rechts mit Sitz in Italien. Der in das Wohnmobil eingebaute Dieselmotor stammt von einem weiteren, nicht am Rechtsstreit beteiligten Hersteller.
Die EG-Typgenehmigung für das Basisfahrzeug wurde der Beklagten in Italien nach Maßgabe der Abgasnorm Euro 6 erteilt. Die Emissionen des Motors werden unter Verwendung eines Thermofensters kontrolliert. Das Kraftfahrt-Bundesamt hatte vor Erwerb des Wohnmobils in 2016 ein Verfahren nach Artikel 30 Absatz 3 Satz 1 der inzwischen außer Kraft getretenen Richtlinie 2007/46/EG eingeleitet. Die italienische Genehmigungsbehörde hatte 2016 keinen Anlass für ein behördliches Einschreiten gesehen.
Die auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich des Wertes gezogener Nutzungen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Wohnmobils und auf Erstattung der Finanzierungskosten gerichtete Klage hatte weder in erster noch in zweiter Instanz Erfolg. Der BGH hat jetzt allerdings die Berufungsentscheidung aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, damit das Berufungsgericht im Anschluss an das Grundsatzurteil des BGH vom 26.06.2023 (VIa ZR 335/21) die Voraussetzungen eines Differenzschadens näher aufklärt.
Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen komme ein Anspruch auf Ersatz dieses Schadens in Betracht, so der BGH. Das Berufungsgericht habe unterstellt, dass es sich bei einem in dem Basisfahrzeug verbauten Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des EU-Rechts handelt. Zugunsten des Klägers sei damit auch im Revisionsverfahren zu unterstellen, dass die Übereinstimmungsbescheinigung nicht im Einklang mit dem EU-Recht stand.
Dass eine Tatbestands- oder Legalisierungswirkung der EG-Typgenehmigung einem Anspruch aus § 823 Absatz 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Absatz 1, 27 Absatz 1 EG-FGV nicht entgegengehalten werden kann, habe der BGH bereits am 26.06.2023 ausführlich begründet. Gleichfalls ohne Relevanz war laut BGH die Reaktion der italienischen Typgenehmigungsbehörde auf das Ersuchen des Kraftfahrt-Bundesamts nach Artikel 30 Absatz 3 Satz 1 der Richtlinie 2007/46/EG. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) entscheide über die Gewährung eines Schadensersatzes allein, ob in das (Basis-)Fahrzeug entgegen Artikel 5 Absatz 2 Satz 1 der Fahrzeugemissionen-VO eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Artikels 3 Nr. 10 der Fahrzeugemissionen-VO eingebaut ist.
Der Eintritt eines Schadens kann laut BGH auch nicht deshalb verneint werden, weil es bisher noch nicht zu Einschränkungen der Nutzbarkeit gekommen ist und weil die Typgenehmigungsbehörde Fahrzeuge des genehmigten Typs zwar auf eine Übereinstimmung mit Artikel 5 Absatz 2 Fahrzeugemissionen-VO geprüft, aber bisher von einschränkenden Maßnahmen abgesehen hat. Denn mit Rücksicht auf den geldwerten Vorteil der jederzeitigen Verfügbarkeit eines Kfz genüge schon die rechtliche Möglichkeit einer Nutzungsbeschränkung, die mit der Verwendung einer – hier unterstellt vorhandenen – unzulässigen Abschalteinrichtung gegeben ist.
Weiter sei ein Differenzschaden nicht deshalb auszuschließen, weil der Kläger keinen Pkw, sondern ein Wohnmobil erworben hat. Für den Differenzschaden kommt es nach Ansicht des BGH nicht darauf an, welchen Zwecken die beabsichtigte Nutzung eines Kfz als Fortbewegungsmittel im Straßenverkehr dienen soll. Eine Unterscheidung nach der Art der beabsichtigten Nutzung im Straßenverkehr hätte die Ausklammerung einer ganzen Gruppe von Fahrzeugtypen aufgrund abstrakter, mit ihrer Bauart zusammenhängender Erwägungen ohne Bezug insbesondere zu Artikel 5 Absatz 2 Fahrzeugemissionen-VO zur Folge. Das schränkte die von den Mitgliedstaaten zu gewährleistende Effektivität der Durchsetzung der Ziele des EU-Rechts unvertretbar ein. Dementsprechend habe auch der EuGH in seiner Entscheidung vom 21.03.2023 zwar hinsichtlich des Schadensersatzes auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten verwiesen. Er habe aber weder hinsichtlich der Pflichtverletzung durch die Ausstellung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung noch im Zusammenhang mit in Betracht kommenden Schadenspositionen Ausnahmen für ganze Fahrzeuggruppen je nach dem Zweck der beabsichtigten Nutzung erwogen.
Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen sei schließlich ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten nicht zu verneinen. Insbesondere habe diese sich nicht damit entlasten können, sie sei nicht zugleich Herstellerin des in dem Basisfahrzeug verbauten Motors. Einem Fahrzeughersteller, der für die Konstruktion des von ihm hergestellten Fahrzeugs Motoren fremder Hersteller verwendet, oblägen auch insoweit die Sorgfaltspflichten eines Herstellers.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.11.2023, VIa ZR 1425/22