29.11.2023
Religiöse Zeichen: Öffentliche Verwaltung kann all ihren Beschäftigten Tragen verbieten
Eine öffentliche Verwaltung kann das sichtbare Tragen von Zeichen, die weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen erkennen lassen, verbieten, um ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen. Dies ist nicht diskriminierend, wenn dies allgemein und unterschiedslos für das gesamte Personal dieser Verwaltung gilt und die Regel sich auf das absolut Notwendige beschränkt. Dies stellt der Europäische Gerichtshof (EuGH) klar.
Einer Bediensteten der belgischen Gemeinde Ans, die als Büroleiterin ganz überwiegend ohne Publikumskontakt tätig ist, wurde es untersagt, am Arbeitsplatz das islamische Kopftuch zu tragen. Anschließend änderte die Gemeinde ihre Arbeitsordnung und schrieb in der Folge ihren Arbeitnehmern eine strikte Neutralität vor: Jede Form von Proselytismus ist untersagt, und das Tragen von auffälligen Zeichen ideologischer oder religiöser Zugehörigkeit ist allen Arbeitnehmern, auch denen, die keinen Publikumskontakt haben, verboten.
Die Betroffene möchte feststellen lassen, dass sie in ihrer Religionsfreiheit verletzt wurde und diskriminiert wird. Dem mit dem Rechtsstreit befassten Arbeitsgericht Lüttich stellt sich die Frage, ob die von der Gemeinde aufgestellte Regel der strikten Neutralität eine gegen das Unionsrecht verstoßende Diskriminierung begründet.
Laut EuGH kann die Politik der strikten Neutralität, die eine öffentliche Verwaltung ihren Arbeitnehmern gegenüber durchsetzen will, um bei sich ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen, als durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt angesehen werden. Ebenso gerechtfertigt sei die Entscheidung einer anderen öffentlichen Verwaltung für eine Politik, die allgemein und undifferenziert das Tragen sichtbarer Zeichen unter anderem weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen, auch bei Publikumskontakt, gestattet, oder ein Verbot des Tragens solcher Zeichen beschränkt auf Situationen, in denen es zu Publikumskontakt kommt.
Die EU-Mitgliedstaaten und die unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheiten verfügten nämlich über einen Wertungsspielraum bei der Ausgestaltung der Neutralität des öffentlichen Dienstes, die sie in dem für sie spezifischen Kontext am Arbeitsplatz fördern wollen. Dieses Ziel muss laut EuGH aber in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden, und die zu seiner Erreichung getroffenen Maßnahmen müssen sich auf das absolut Notwendige beschränken. Ob diese Anforderungen erfüllt sind, müsse das nationale Gericht prüfen.
Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 28.11.2023, C-148/22