24.11.2023
Conterganstiftung: Muss Einzelfall neu prüfen
Genügt das bei der Conterganstiftung geführte Verfahren auf Bewilligung von Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz nicht den gesetzlichen Anforderungen, kann die Stiftung im Einzelfall zu einer erneuten Entscheidung über den Antrag verpflichtet werden. Das hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) entschieden.
Der 1961 geborene Kläger beantragte 2011 die Festsetzung von Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz wegen mehrerer Körperschäden. Er machte geltend, seine Mutter habe während ihrer Schwangerschaft mit ihm das Mittel Contergan eingenommen. Die Conterganstiftung lehnte den Antrag ab. Sie stützte sich dabei auf die Einschätzung einzelner Mitglieder der bei ihr eingerichteten Medizinischen Kommission, wonach die Schädigungen des Klägers nicht typisch für einen Thalidomidschaden (beziehungsweise Conterganschaden) seien.
Das Verwaltungsgericht (VG) Köln hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen. Das OVG hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des VG zugelassen, die nun teilweise Erfolg hatte.
Nach dem Conterganstiftungsgesetz bestehe ein Anspruch auf die Gewährung von Leistungen wegen Fehlbildungen, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Aachener Grünenthal GmbH (wie etwa des Mittels Contergan) durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können, stellte das OVG klar. Diese Voraussetzungen lägen für einen Teil der geltend gemachten Schädigungen schon deshalb nicht vor, weil diese nicht auf vor der Geburt entstandenen oder angelegten Fehlbildungen beruhen.
Hinsichtlich der weiteren Schädigungen konnte das OVG auch unter Berücksichtigung des herabgesetzten Beweismaßstabs nicht abschließend feststellen, ob diese Schädigungen mit der Thalidomideinnahme der Mutter während der Schwangerschaft mit dem Kläger in Verbindung gebracht werden können. Das OVG hatte diesbezüglich auch kein beziehungsweise keine Sachverständigengutachten zur weiteren Aufklärung einzuholen. Denn der Gesetzgeber habe insoweit ein besonderes gesetzliches Verfahren vorgesehen, das vorliegend nicht den darin geregelten Anforderungen entsprechend durchgeführt worden sei.
In einer solchen Fallkonstellation könne das Gericht ausnahmsweise von der Herstellung der Spruchreife absehen. Denn das Conterganstiftungsgesetz sehe vor, dass eine aus medizinischen Sachverständigen verschiedener Fachbereiche sowie einem Vorsitzenden mit der Befähigung zum Richteramt bei der Conterganstiftung eingerichtete Kommission, die so genannte Medizinische Kommission, darüber entscheidet, ob ein Schadensfall nach dem Gesetz vorliegt, und diesen bejahendenfalls bewertet. Auf der Grundlage dieser Entscheidung setze der Vorstand der Conterganstiftung die Leistungen fest.
Dieses Verfahren sei im Fall des Klägers nicht eingehalten worden. Es sei keine Entscheidung der Kommission als Gremium eingeholt, sondern nur ein Teil ihrer Mitglieder (acht von 22) mit dem Fall befasst worden. Aus dieser Befassung, die sich im Wesentlichen auf die Einholung medizinischer Stellungnahmen beschränkte, war laut OVG zudem keine Entscheidungsfindung nachzuvollziehen. Unter diesen Umständen hat das OVG die Beklagte verpflichtet, über den Antrag insoweit erneut zu entscheiden.
Das OVG hat die Revision zugelassen.
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.11.2023, 16 A 1884/22, nicht rechtskräftig