13.11.2023
Grundsteuerbewertung: Bund der Steuerzahler und Haus & Grund erheben erste Musterklagen
Der Bund der Steuerzahler (BdSt) und Haus & Grund unterstützen mehrere Eigentümer, die sich gegen die Bewertung ihrer Grundstücke im Rahmen der Grundsteuerreform wehren und vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ziehen wollen. In Berlin und Rheinland-Pfalz seien jetzt die ersten begleiteten Klagen bei den Finanzgerichten eingereicht worden, so der BdSt.
Die Klagen richteten sich gegen die Bescheide über die Feststellung des Grundsteuerwertes zum 01.01.2022 nach dem Bundesmodell. Ab Januar 2025 sollen die Kommunen die neue Grundsteuer aufgrund der Bescheide über den Grundsteuerwert und die darauf festgesetzten Grundsteuermessbeträge erheben.
BdSt-Präsident Reiner Holznagel und Haus & Grund-Präsident Kai H. Warnecke halten die neue Bewertung im Bundesmodell für verfassungswidrig und unterstützen das Ziel, das neue Bewertungsverfahren vom BVerfG prüfen zu lassen. Die Verbände kündigen an, im Rahmen der Klagen das Rechtsgutachten von Gregor Kirchhof, das sie in Auftrag gegeben hatten, einzubringen. Der Verfassungsrechtler sei zu dem Ergebnis gekommen, dass das Grundsteuergesetz des Bundes verfassungswidrig sei. Vor allem die pauschal anzusetzenden Mieten bei der Bewertung der Grundstücke und die Bodenrichtwerte beeinflussten die Werte der Grundstücke deutlich.
Im Berliner Klageverfahren handelt es sich laut BdSt um eine vermietete Eigentumswohnung nahe einer Bahntrasse. Die Wohnung wurde mit einer Kaltmiete von 5,07 Euro pro Quadratmeter vermietet (zum Stichtag der Bewertung am 01.01.022). Der Grundsteuerbescheid setze nun eine angepasste monatliche Nettokaltmiete von 9,32 pro Quadratmeter als pauschalierte Miete nach dem neuen Bewertungssystem an. Dieser Wert sei knapp 84 Prozent höher als die erzielte Miete und daher realitätsfern. Der Wert sei auch tatsächlich nicht realisierbar, da das Bürgerliche Gesetzbuch in § 558 Absatz 1 bestimmt, dass der Vermieter die Zustimmung zu einer Mieterhöhung nur bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete verlangen kann. Der Berliner Mietspiegel enthalte in seiner Fassung 2021 als Mittelwert der ortsüblichen Miete lediglich einen Wert von 6,47 Euro pro Quadratmeter. Über diesen Wert könne der betroffene Eigentümer nicht hinausgehen.
In Rheinland-Pfalz handelt es sich laut BdSt um ein vermietetes Einfamilienhaus, das für 650 Euro kalt vermietet wurde (zum Stichtag der Bewertung am 01.01.2022). Der Grundsteuerbescheid setze aber einen Betrag von 895,52 Euro als pauschalierte Miete nach dem neuen Bewertungssystem an. Dieser Wert sei nicht nur knapp ein Drittel höher als die erzielte Miete, sondern auch tatsächlich nicht realisierbar: Die Eigentümerin habe im Jahr 2020 die zum damaligen Zeitpunkt vertraglich vereinbarte Miete von 650 Euro erhöhen wollen. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Mietpartei sei es erforderlich geworden, ein Miethöhegutachten in Auftrag zu geben, um das "Mieterhöhungsbegehren" zu begründen. Der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige habe dann in seinem Gutachten März 2020 eine ortsübliche Nettokaltmiete von 770 Euro ermittelt. Im Rahmen eines zivilrechtlichen Rechtsstreits über die Zulässigkeit der vorgenommenen Mieterhöhung holte das angerufene Amtsgericht Bingen am Rhein ein weiteres Miethöhegutachten durch Beauftragung eines öffentlich bestellten und vereidigten Gutachters ein. Auch das Miethöhegutachten vom 22.09.2022 sei für den Wertermittlungsstichtag – 19.02.2020 – auf eine ortsübliche Nettovergleichsmiete von 760 Euro gekommen. Die im angefochtenen Bescheid angesetzte Nettokaltmiete weiche somit deutlich von den beiden gutachterlich ermittelten Werten ab.
In allen weiteren Klagen, die die Verbände noch einreichen wollen, werde regelmäßig die Anwendung des Bodenrichtwertes kritisiert. Beim Bundesmodell richte sich die Grundsteuer insgesamt nach den Bodenrichtwerten. Das Steuerrecht nutze diese Werte für unterschiedliche Abgaben. Dennoch sei die Steuerbemessung nach diesen durchschnittlichen Lagewerten zuweilen ungenau – vor allem dann, wenn Gutachterausschüsse für ein Gebiet fehlen, wenn die Kaufpreissammlungen nicht ausreichen, wenn kein Bodenrichtwert vorhanden ist und daher Werte vergleichbarer Flächen heranzuziehen sind oder wenn lagebedingte Wertminderungen entstehen. Insgesamt wiesen die Bodenrichtwerte laut Gutachten "systematische Bewertungslücken" auf, so der BdSt. Teilweise würden Flächen als bebaubar ausgewiesen, obwohl diese Grundstücke nicht erschlossen sind oder keine Baugenehmigung für sie erteilt werden kann. Bodenrichtwerte quer durch Deutschland seien zudem wenig vergleichbar.
Eigentlich erlaube das Bewertungsgesetz den Eigentümern, einen niedrigeren tatsächlichen Wert nachzuweisen. Das Grundgesetz fordere diese Gegenbeweismöglichkeit. Um angesichts ungenauer Bodenrichtwerte einen "Verstoß gegen das grundgesetzliche Übermaßverbot zu verhindern", sei laut Bundesfinanzhof "der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts" verfassungsrechtlich geboten. Das Grundsteuermodell des Bundes aber verwehre diesen Gegenbeweis ausdrücklich. Die Bodenrichtwerte wirkten absolut, ohne dass der Eigentümer Widerspruch erheben könne.
Mit ihren Musterklagen wollen beide Verbände prüfen lassen, ob die Neubewertung der Grundstücke nach dem Bundesmodell verfassungsmäßig ist. Eigentümer könnten sich auf diese Musterklage berufen und Einspruch gegen ihren Feststellungsbescheid über den Grundsteuerwert beim Finanzamt einlegen sowie das Ruhen des Verfahrens aus Zweckmäßigkeitsgründen beantragen, so der BdSt. Kommt das Finanzamt dem Antrag nach, bleibe das Einspruchsverfahren bis zu einem Urteil in der Musterklage offen.
Bund der Steuerzahler e.V., PM vom 09.11.2023