23.10.2023
Zwangsadoption in der DDR: Betroffene haben Anspruch auf Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit
Wer in der ehemaligen DDR in rechtsstaatswidriger Weise adoptiert wurde, hat einen Anspruch auf verwaltungsrechtliche Rehabilitierung durch Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit dieser Adoption, wenn sie zu den in der Vorschrift genannten Folgen geführt hat und diese noch unmittelbar schwer und unzumutbar fortwirken. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden.
Der Kläger wurde 1972 geboren. 1975 ließen seine Eltern sich scheiden. Nach dem Tod seiner allein erziehungsberechtigten Mutter im folgenden Jahr beantragte sein Vater die Übertragung des Erziehungsrechts und verwies auf seinen Ausreiseantrag. Beide Anträge wurden abgelehnt; der Kläger wurde in einer Pflegefamilie untergebracht. 1979 beantragten die Pflegeeltern die Adoption des Klägers. Sein aus politischen Gründen inhaftierter und anschließend in die Bundesrepublik entlassener Vater verweigerte die Einwilligung in die Adoption. Diese wurde 1981 gerichtlich ersetzt. 1982 beschloss der zuständige Jugendhilfeausschuss die Annahme des Klägers an Kindes statt durch seine Pflegeeltern. Deren Ehe wurde 1983 geschieden. Das Erziehungsrecht wurde dem Adoptivvater zugesprochen. Dieser wurde 1984 wegen wiederholter Misshandlung des Klägers zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Der Kläger wurde bis zum Erreichen seiner Volljährigkeit in verschiedenen Heimen und Jugendwerkhöfen untergebracht.
2014 beantragte er seine verwaltungsrechtliche Rehabilitierung wegen seiner Adoption, als deren Folge er heute noch unter schweren Gesundheitsschädigungen leide. Der Beklagte lehnte den Antrag 2019 ab, weil Adoptionen nicht der verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung unterlägen. Der Klage auf Rehabilitierung, hilfsweise – ohne Ansprüche auf Beschädigtenversorgung –, hat das Verwaltungsgericht (VG) nur hinsichtlich des Hilfsantrags stattgegeben.
Die Revision des Klägers hatte Erfolg. Der Beklagte ist laut BVerwG verpflichtet, gemäß § 1 des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes festzustellen, dass die Adoption des Klägers rechtsstaatswidrig war. Diese Vorschrift sei auf Adoptionen in der ehemaligen DDR anwendbar mit der Maßgabe, dass bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen an die Stelle der Aufhebung der Adoption die Feststellung ihrer Rechtsstaatswidrigkeit tritt. Die im Einigungsvertrag und im Bürgerlichen Gesetzbuch enthaltenen familienrechtlichen Vorschriften regelten die Aufhebung von Adoptionen abschließend, stünden jedoch einer Rehabilitierung in sonstiger Weise nicht entgegen.
Die Betroffenen von einer solchen Rehabilitierung und den mit ihr verbundenen Versorgungsansprüchen auszuschließen, wäre laut BVerwG auch vor dem Gleichbehandlungsgebot nicht zu rechtfertigen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Rehabilitierung des Klägers lägen vor. Seine Adoption sei mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates unvereinbar gewesen. Sie habe in schwerwiegender Weise gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit verstoßen und stelle sich als Willkürakt im Einzelfall dar, weil sie sachfremden Zwecken gedient habe.
Nach den Feststellungen des VG war sie nicht – wie nach dem Familienrecht der DDR erforderlich – am Kindeswohl orientiert, sondern habe dazu gedient, den Vater des Klägers zu disziplinieren. Außerdem sollte sie eine gemeinsame Ausreise verhindern. Ihre Folgen hätten noch unmittelbar schwer und unzumutbar fortgewirkt. Der Kläger habe schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht, dass seine fortwirkenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen wesentlich auf seine Adoption und seine Misshandlungen in der Adoptivfamilie zurückzuführen sind.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.10.2023, BVerwG 8 C 6.22