18.09.2023
Aufklärungspflichten eines Immobilienverkäufers: Einrichtung eines Datenraums allein nicht immer ausreichend
Der Verkäufer eines bebauten Grundstücks, der dem Käufer Zugriff auf einen Datenraum mit Unterlagen und Informationen zu der Immobilie gewährt, erfüllt seine Aufklärungspflicht damit nur, wenn und soweit er aufgrund der Umstände die berechtigte Erwartung haben kann, dass der Käufer durch Einsichtnahme in den Datenraum Kenntnis vom offenbarungspflichtigen Umstand erlangen wird. Dies stellt der Bundesgerichtshof (BGH) klar
Eine Firma hatte mehrere Gewerbeeinheiten für rund 1,5 Millionen Euro verkauft. Im Kaufvertrag versicherte die Verkäuferin, es seien keine Beschlüsse gefasst, aus denen sich eine künftig fällige Sonderumlage ergebe und dass im laufenden Wirtschaftsjahr keine außergewöhnlichen, durch die Instandhaltungsrücklage nicht gedeckten Kosten angefallen seien. Weiter heißt es im Kaufvertrag, der Verkäufer habe dem Käufer die Protokolle der Eigentümerversammlungen der letzten drei Jahre übergeben und der Käufer habe Kenntnis vom Inhalt der Unterlagen.
Die Käuferin hatte im Rahmen der Vertragsverhandlungen Zugriff auf einen von der Verkäuferin eingerichteten virtuellen Datenraum erhalten, der verschiedene Unterlagen zu dem Kaufobjekt enthielt. Kurz vor Vertragsschluss im März 2019 stellte die Verkäuferin dort das Protokoll einer Eigentümerversammlung von 2016 ein. Aus diesem ergab sich, dass die Käuferin für geplante Umbaumaßnahmen am Gemeinschaftseigentum mit bis zu 50 Millionen Euro in Anspruch genommen werden könnte. Hiergegen setzte sich die Käuferin gerichtlich zur Wehr. Sie verlangt Schadenersatz wegen Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht.
Der BGH stellt klar, dass die Verkäuferin die Käuferin auch ungefragt darüber aufklären musste, dass bauliche Maßnahmen an dem Kaufobjekt mit einem Kostenumfang von 50 Millionen Euro ausstanden. Die Aufklärungspflicht der Verkäuferin habe unabhängig davon gegolten, dass diese Kosten vorrangig von der Mehrheitseigentümerin getragen werden sollten und noch keine Sonderumlage beschlossen war. Denn solange die geplanten baulichen Maßnahmen nicht umgesetzt und bezahlt waren, bestand für die Klägerin als künftige Eigentümerin mehrerer Gewerbeeinheiten die konkrete Gefahr, dass die hierfür anfallenden Kosten anteilig von ihr getragen werden müssen.
Weiter führt der BGH aus, dass die Verkäuferin ihre Aufklärungspflicht nicht schon dadurch erfüllt habe, dass sie das Protokoll der Eigentümerversammlung von 2016 in den Datenraum eingestellt hat. Der Umstand allein, dass der Verkäufer einen Datenraum einrichtet und den Kaufinteressenten den Zugriff auf die Daten ermöglicht, lasse nicht stets den Schluss zu, dass der Käufer den offenbarungspflichtigen Umstand zur Kenntnis nehmen wird. Nur wenn im Einzelfall die Erwartung gerechtfertigt sei, dass der Käufer bestimmte, vom Verkäufer in dem Datenraum bereit gestellte Informationen – etwa im Rahmen einer Due Diligence – wahrnehmen und in seine Kaufentscheidung einbeziehen wird, sei keine gesonderte Aufklärung durch den Verkäufer erforderlich.
Hier habe die Käuferin ohne gesonderten Hinweis auf das neu eingestellte Dokument keinen Anlass gehabt, in dem kurzen Zeitfenster zwischen dem Einstellen des Protokolls und dem Vertragsschluss noch einmal Einsicht in den Datenraum zu nehmen.
Unabhängig von einer Aufklärungspflicht der Verkäuferin komme ein Schadenersatzanspruch der Käuferin wegen einer unzutreffenden Erklärung der Verkäuferin in dem notariellen Kaufvertrag und wegen einer unrichtigen oder unvollständigen Antwort der Verkäuferin auf Fragen der Käuferin in Betracht. Die vertragliche Erklärung der Verkäuferin, dass nach ihrer Kenntnis keine außergewöhnlichen, durch die Instandhaltungsrücklage nicht gedeckten Kosten bevorstünden, könnte angesichts ausstehender baulicher Maßnahmen im Umfang von 50 Millionen Euro zumindest unvollständig gewesen sein.
Infolgedessen hat der BGH die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, weil noch weitere Feststellungen zu dem Sachverhalt zu treffen seien. Unter anderem habe die Verkäuferin behauptet, sie habe der Käuferin die relevanten Unterlagen schon früher in Papierform zukommen lassen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.09.2023, V ZR 77/22