07.06.2024
Obwohl seine Ehefrau bei der Hochzeit bereits schwer an Krebs erkrankt war und nur drei Monate später starb, hat ein verwitweter Ehemann Anspruch auf Witwerrente aus ihrer Versicherung. Denn im zugrunde liegenden Fall habe die gesetzliche Vermutung einer Heirat in Versorgungsabsicht widerlegt werden können, so das Sozialgericht (SG) Berlin. Bereits vor Bekanntwerden der Diagnose hätten die Partner konkrete Heiratspläne gehabt.
Der Kläger begehrte von der beklagten Deutschen Rentenversicherung Bund die Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung seiner Ehefrau. Bei der Versicherten war erstmals 2014 Brustkrebs diagnostiziert und behandelt worden. Im September 2019 reservierten der Kläger und die seit sieben Jahren mit ihm zusammenlebende Versicherte Veranstaltungsräume, um im Juli des Folgejahres mit einer großen Feier zu heiraten. Im November 2019 meldeten sie den Termin der Eheschließung auch beim Standesamt an. Im Dezember 2019 wurden bei einer ärztlichen Untersuchung der Versicherten dann ein Wiederauftreten der Erkrankung festgestellt, im März 2020 empfahl man eine Chemotherapie, Anfang April 2020 kam die Versicherte schließlich zur Behandlung ins Krankenhaus. Noch im selben Monat wurde die Ehe im Krankenhaus geschlossen. Rund drei Monate später, im Juli 2020 starb die Versicherte schließlich.
Der Beklagte lehnte den im November 2020 gestellten Antrag auf Witwerrente ab. Bei einer Ehe, die weniger als ein Jahr gedauert habe, gehe das Gesetz davon aus, dass der überwiegende Zweck der Eheschließung die Versorgung durch eine Hinterbliebenenrente gewesen sei. Bereits im Zeitpunkt der Heirat sei absehbar gewesen, dass die vorhandene Krankheit bald zum Tod führen würde. Hiergegen erhob der Witwer 2021 Klage.
Das SG Berlin hat der Klage nach mündlicher Verhandlung und Zeugenbefragung stattgegeben und die Beklagte zur Rentenzahlung verurteilt. Zwar hätten Witwen oder Witwer nach der gesetzlichen Vermutung des § 46 Sozialgesetzbuchs VI keinen Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat. Etwas anderes gelte jedoch, wenn nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt sei, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.
Nach Würdigung aller Umstände sei die Kammer hier davon überzeugt, dass die Versorgung des Klägers nicht der überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei. Der konkrete Entschluss zur Eheschließung sei bereits deutlich vor der endgültigen Krebs-Diagnose im März 2020 gefallen, wie die entsprechenden Hochzeitsvorbereitungen (Raummiete, Termin beim Standesamt) zeigten. Wäre dieser Entschluss bereits von der Sorge um einen tödlichen Verlauf der Versicherten getragen gewesen, hätte ein kurzfristiger Termin für die Trauung nahegelegen, statt diese erst ein dreiviertel Jahr später anzusetzen. Glaubhaft habe der Kläger zudem geschildert, dass Hauptgrund für die vorgezogene Trauung die Einschränkungen der Corona-Pandemie gewesen seien. Die Partner hätten durch ihre Heirat das strikte Besuchsverbot im Krankenhaus überwinden wollen.
Die Beklagte hat gegen die Entscheidung Berufung zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt.
Sozialgericht Berlin, Urteil vom 18.03.2024, S 4 R 618/21, nicht rechtskräftig