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22.09.2022

Vollwaisenrente bei Tod der Pflegeeltern: Nicht, wenn leibliche Eltern noch leben

Solange noch ein grundsätzlich unterhaltsverpflichteter leiblicher Elternteil eines Pflegekindes lebt, hat ein Pflegekind keinen Anspruch auf Vollwaisenrente, wenn beide Pflegeeltern verstorben sind. Dies hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen entschieden.

Der Kläger kam nach der Geburt zu Pflegeeltern. Seine leiblichen Eltern leben noch. Nach dem Tod des Pflegevaters gewährte ihm der beklagte Rentenversicherungsträger eine Halbwaisenrente. Nach dem Tod der Pflegemutter beantragte der Kläger eine Vollwaisenrente. Der gegen den Ablehnungsbescheid der Beklagten gerichteten Klage gab das Sozialgericht Düsseldorf statt.

Hiergegen legte die Beklagte erfolgreich Berufung ein. Das LSG hat das Urteil der Vorinstanz geändert und die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Vollwaisenrente. Dieser setze nach dem Wortlaut des § 48 Absatz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) voraus, dass das Kind keinen Elternteil mehr habe, der – ungeachtet der wirtschaftlichen Verhältnisse – unterhaltspflichtig sei. In diesem Sinne sei der Kläger keine Vollwaise, da seine dem Grunde nach unterhaltspflichtigen leiblichen Eltern noch lebten.

Da Pflegekinder gegenüber Pflegeeltern nicht unterhaltsberechtigt seien, stelle § 48 Absatz 3 Nr. 1 SGB VI sie zwar mit leiblichen Kindern (und Adoptivkindern) insoweit gleich, als dass sie grundsätzlich Waisenrente nach dem Tod von Pflegeeltern(teilen) beanspruchen könnten. Die davon losgelöste Frage, wann ein Kind den Status einer Halbwaise und wann denjenigen einer Vollwaise habe, beantworte sich hingegen ausschließlich nach den Vorgaben des § 48 Absatz 1 Nr. 1 und Absatz 2 Nr. 1 SGB VI und daher nur mit Blick auf die unterhaltspflichtigen leiblichen Eltern.

Zwar könne ein Kind mehr als zwei Elternteile im Sinne des § 48 SGB VI haben, so das LSG, zum Beispiel leibliche Eltern und Pflegeeltern. Es könne jedoch nur dann Vollwaise sein, wenn kein unterhaltspflichtiger Elternteil mehr vorhanden sei. Es entspreche erkennbar nicht dem gesetzgeberischen Willen, dass Pflegekinder nach Versterben beider Pflegeelternteile sowohl ein Anspruch auf Vollwaisenrente als auch grundsätzlich ein Unterhaltsanspruch gegen die leiblichen Eltern zustehe und sie somit doppelt abgesichert seien, während leibliche Kinder, die in der Herkunftsfamilie gelebt haben, nur dann Anspruch auf Vollwaisenrente haben, wenn ihnen die Möglichkeit genommen sei, einen Unterhaltsanspruch dem Grunde nach gegen einen unterhaltspflichtigen Elternteil geltend zu machen, weil beide dem Grunde nach unterhaltspflichtigen Elternteile verstorben seien.

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.06.2022, L 14 R 693/20