10.01.2025
Geschlechtsidentität des Kunden: Für Fahrkartenerwerb irrelevant
Die Geschlechtsidentität des Kunden ist keine für den Erwerb eines Fahrscheins erforderliche Angabe. Denn: Die Erhebung von Daten hinsichtlich der Anrede der Kunden ist nicht objektiv unerlässlich, insbesondere wenn sie darauf abzielt, die geschäftliche Kommunikation zu personalisieren. Das stellt der Europäische Gerichthof (EuGH) in einem Fall klar, der das französische Eisenbahnunternehmen SNCF Connect betraf.
Ein Verband beanstandete bei der französischen Behörde für den Schutz personenbezogener Daten die Praxis von SNCF Connect, seine Kunden beim Onlineerwerb von Fahrscheinen systematisch zu verpflichten, ihre Anrede ("Herr" oder "Frau") anzugeben. Seiner Ansicht nach verstößt diese Verpflichtung gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO), insbesondere im Hinblick auf den Grundsatz der Datenminimierung.
Der Fall kam vor Gericht und schließlich im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens zum EuGH. Dieser weist darauf hin, dass die DS-GVO eine erschöpfende und abschließende Liste der Fälle enthält, in denen eine Verarbeitung personenbezogener Daten als rechtmäßig angesehen werden kann: Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn die Verarbeitung (1.) für die Erfüllung eines Vertrags, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, oder (2.) zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen dieser Verarbeitung oder eines Dritten erforderlich ist.
Was den ersten der beiden Rechtfertigungsgründe anbelangt, müsse die Verarbeitung von Daten für die ordnungsgemäße Erfüllung des Vertrags objektiv unerlässlich sein, damit sie für die Erfüllung eines Vertrags als erforderlich angesehen werden kann. Eine Personalisierung der geschäftlichen Kommunikation, die auf einer anhand der Anrede des Kunden angenommenen Geschlechtsidentität beruht, erscheint dem EuGH nicht objektiv unerlässlich, um die ordnungsgemäße Erfüllung eines Schienentransportvertrags zu ermöglichen. Das Eisenbahnunternehmen könnte sich nämlich für eine Kommunikation entscheiden, die auf allgemeinen und inklusiven Höflichkeitsformeln beruht, die in keinem Zusammenhang mit der angenommenen Geschlechtsidentität der Kunden stehen.
In Bezug auf den zweiten Rechtfertigungsgrund stellt der Gerichtshof unter Hinweis auf seine einschlägige ständige Rechtsprechung klar, dass die Verarbeitung von Daten hinsichtlich der Anrede der Kunden eines Transportunternehmens, die darauf abzielt, die geschäftliche Kommunikation aufgrund ihrer Geschlechtsidentität zu personalisieren, nicht als erforderlich angesehen werden kann, wenn (1.) diesen Kunden bei der Erhebung dieser Daten nicht das verfolgte berechtigte Interesse mitgeteilt wurde, oder (2.) die Verarbeitung nicht innerhalb der Grenzen dessen erfolgt, was zur Verwirklichung dieses berechtigten Interesses unbedingt notwendig ist, oder (3.) in Anbetracht aller relevanten Umstände die Grundrechte und Grundfreiheiten dieser Kunden gegenüber diesem berechtigten Interesse überwiegen können, insbesondere wegen der Gefahr einer Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität.
Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 09.01.2025, C-394/23