13.03.2025
Kosten einer künstlichen Befruchtung als außergewöhnliche Belastungen
Die steuerliche Anerkennung von außergewöhnlichen Belastungen ist ein zentraler Aspekt des deutschen Einkommensteuerrechts, der vor allem bei medizinischen Behandlungen häufig zu Streitigkeiten führt. Eine besondere Bedeutung kommt dabei Aufwendungen zu, die durch Krankheitskosten entstehen, insbesondere wenn diese nicht unmittelbar die steuerpflichtige Person betreffen, sondern durch biologische oder rechtliche Zusammenhänge auch andere Personen einbeziehen.
In einem Urteil vom 29.2.2024, unter dem Aktenzeichen VI R 2/22, hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass die Kosten für eine Präimplantationsdiagnostik (PID) mit anschließender künstlicher Befruchtung bei einer gesunden Frau als außergewöhnliche Belastung abziehbar sein können, wenn die Behandlung durch eine Krankheit des Partners erforderlich wird.
Im vorliegenden Fall war die Klägerin eine unverheiratete, gesunde Frau, deren Partner an einer chromosomalen Translokation litt. Diese genetische Veränderung führte dazu, dass ein gemeinsames Kind bei natürlicher Zeugung mit hoher Wahrscheinlichkeit schwerste körperliche oder geistige Behinderungen gehabt hätte oder nicht lebensfähig gewesen wäre. Aufgrund dieses Risikos entschlossen sich die Klägerin und ihr Partner zu einer Behandlung in einem Kinderwunschzentrum, die eine Präimplantationsdiagnostik in Verbindung mit einer künstlichen Befruchtung umfasste. Die PID sollte sicherstellen, dass nur genetisch gesunde Embryonen in die Gebärmutter der Klägerin eingesetzt wurden, um eine fortlaufende Schwangerschaft zu ermöglichen. Zuvor wurden humangenetische Beratungen sowie psychosoziale Gespräche durchgeführt. Die Zustimmung zur PID wurde von der zuständigen Kommission der Ärztekammer eingeholt.
Im Streitjahr 2019 entstanden der Klägerin insgesamt Behandlungskosten in Höhe von 22.965 Euro. Diese Kosten umfassten medizinische Maßnahmen, die größtenteils am Körper der Klägerin durchgeführt wurden, sowie Rechnungen und Rezepte, die direkt auf sie ausgestellt waren. Die Klägerin beantragte, diese Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen. Das Finanzamt lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass die Behandlung nicht ausschließlich die Klägerin, sondern auch ihren Partner betraf und daher keine persönliche Zwangsläufigkeit vorliege. Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage vor dem Finanzgericht Niedersachsen, welches ihrer Klage teilweise stattgab und einen Teil der Kosten als außergewöhnliche Belastungen anerkannte. Das Finanzamt legte daraufhin Revision ein.
Der Bundesfinanzhof wies die Revision des Finanzamts zurück und bestätigte, dass die von der Klägerin selbst getragenen Kosten für die künstliche Befruchtung und PID als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig sind. Die obersten Finanzrichter führten aus, dass Krankheitskosten grundsätzlich dann abzugsfähig sind, wenn sie durch einen objektiv regelwidrigen Körperzustand verursacht werden und zur Heilung oder Linderung einer Krankheit beitragen. Im vorliegenden Fall handelte es sich bei der chromosomalen Translokation des Partners um eine solche Krankheit, deren Folgen durch die ärztlichen Maßnahmen ausgeglichen wurden. Obwohl die Maßnahmen direkt am Körper der Klägerin vorgenommen wurden, standen sie in einem untrennbaren biologischen Zusammenhang mit der Krankheit des Partners. Da eine alleinige Behandlung des Partners nicht ausreichend war, um die Krankheitsfolgen zu lindern, waren auch die an der Klägerin durchgeführten Behandlungsschritte »zwangsläufig« im Sinne des Gesetzes.
Das Gericht stellte außerdem fest, dass die Maßnahmen mit der deutschen Rechtsordnung im Einklang stehen müssen, um als außergewöhnliche Belastungen anerkannt zu werden. Im vorliegenden Fall war dies gegeben, da die PID von der zuständigen Kommission der Ärztekammer genehmigt wurde und sämtliche rechtlichen Anforderungen gemäß § 3a des Embryonenschutzgesetzes eingehalten wurden. Dazu gehörten die vorherige Beratung der Klägerin und ihres Partners, die Prüfung durch die PID-Kommission sowie die Durchführung der Maßnahmen in einem zugelassenen Zentrum.
Entscheidend für die Anerkennung der Kosten war auch, dass der Bundesfinanzhof den Grundsatz der Individualbesteuerung als gewahrt ansah. Obwohl die Behandlung durch die Krankheit des Partners bedingt war, trug die Klägerin die Kosten für die an ihr durchgeführten Maßnahmen persönlich. Daher spiegelten die Aufwendungen eine geminderte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Klägerin wider, die im Rahmen der außergewöhnlichen Belastungen steuerlich zu berücksichtigen ist.
BFH, Urteil vom 29.2.2024, VI R 2/22