28.02.2025
Chancen-Aufenthaltsrecht: Auch für Minderjährige möglich
Die Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Absatz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG – so genanntes Chancen-Aufenthaltsrecht) setzt weder voraus, dass der Ausländer volljährig ist, noch, dass er, sollte er noch keine 16 Jahre alt sein, ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgegeben hat. Das stellt das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) klar.
Die im März 2007 in der Ukraine geborene Klägerin kam mit ihren Eltern 2008 nach Deutschland. Mehrere Asylverfahren der Familie, in denen die Eltern der Klägerin über ihre Identität und Staatsangehörigkeit getäuscht hatten, blieben ohne Erfolg. Die Jugendliche klagte sodann auf Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis, doch das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) entschied, der Jugendlichen sei eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Absatz 1 AufenthG zu erteilen. Diese Rechtsgrundlage sei auch auf Minderjährige anwendbar. Dem Anspruch stehe nicht entgegen, dass kein Bekenntnis der Klägerin zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik vorliege. Diese in § 104c Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG geregelte Voraussetzung brauche die im Entscheidungszeitpunkt 15-Jährige nicht zu erfüllen, weil sie im Anschluss eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG anstrebe, die ein positives (schriftliches) Bekenntnis anders als § 25b AufenthG nicht voraussetze.
Das BVerwG hat die OVG-Entscheidung bestätigt. Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Absatz 1 AufenthG könne auch Minderjährigen erteilt werden. Das Chancen-Aufenthaltsrecht solle dem Titelinhaber auf Grundlage eines erlaubten Aufenthalts ermöglichen, noch fehlende Voraussetzungen für einen Aufenthalt nach § 25a oder § 25b AufenthG nachzuholen (zum Beispiel Klärung der Identität und Erfüllung der Passpflicht). Die Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 AufenthG richte sich an Jugendliche und junge Volljährige bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Das BVerwG sieht keine tragfähige Begründung für die Annahme, dass der Gesetzgeber die durch § 104c Absatz 1 AufenthG ermöglichte "Brücke" zu einem verfestigungsoffenen Aufenthalt Volljährigen vorbehalten und einen Teil der (jedenfalls) durch die Anschlussnorm des § 25a AufenthG Berechtigten hiervon ausschließen wollte.
Im Ergebnis zutreffend habe das OVG zudem entschieden, dass die Klägerin kein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgeben muss. Es handele sich hierbei um eine höchstpersönliche Erklärung, die nur von Personen zu verlangen ist, die das 16. Lebensjahr bereits vollendet haben. Zwar sehe § 104c Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG – anders als § 10 Absatz 1 Satz 2 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) für das bei der Einbürgerung abzugebende Bekenntnis – keine solche Altersgrenze vor. Er sei insoweit allerdings planwidrig zu weit gefasst, meint das BVerwG – und schließt das Regelungsdefizit durch eine entsprechende Anwendung des § 10 Absatz 1 Satz 2 StAG. Danach müsse ein Ausländer, der das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, kein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgeben. Hiervon gingen im Ergebnis auch die Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts aus, unterstreicht das BVerwG abschließend.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.02.2025, BVerwG 1 C 13.23