29.01.2024
BaFin: Haftet nicht im "Wirecard-Bilanzskandal"
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) haftet nicht im Zusammenhang mit dem so genannten Wirecard-Bilanzskandal. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden und die Nichtzulassungsbeschwerde eines Anlegers zurückgewiesen.
Der Kläger nimmt die BaFin aus eigenem und abgetretenem Recht seiner Ehefrau im Zusammenhang mit dem Erwerb von Aktien der inzwischen insolventen Wirecard AG unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung und der unionsrechtlichen Staatshaftung auf Schadensersatz in Anspruch.
Der BaFin obliegt unter anderem die Aufsicht über die Einhaltung der Vorschriften des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG). Dies betrifft vor allem die Bilanzkontrolle und die Marktmissbrauchsüberwachung. Vom 21.12.2004 bis zum 31.12.2021 wurde die Bilanzkontrolle auf der Grundlage eines zweistufigen "Enforcement-Verfahrens" durchgeführt (§§ 37n ff WpHG a.F. beziehungsweise – ab 03.01.2018 – §§ 106 ff WpHG a.F.).
Als Emittent von Aktien unterlag die Wirecard AG der Finanzmarkaufsicht und der Bilanzkontrolle durch die BaFin. Die Jahres- und Konzernabschlüsse sowie Lageberichte der Wirecard AG hatte der Abschlussprüfer bis einschließlich für das Geschäftsjahr 2018 jeweils mit einem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk testiert.
Am 18.06.2020 veröffentlichte die Wirecard AG eine Ad-hoc-Mitteilung, wonach der Abschlussprüfer mitgeteilt habe, dass über die Existenz von Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Euro (etwa ein Viertel der Konzernbilanzsumme) noch keine ausreichenden Prüfungsnachweise vorlägen. Am 22.06.2020 gab der Vorstand der Wirecard AG mittels einer weiteren Ad-hoc-Mitteilung bekannt, dass vermeintliches Vermögen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro bei zwei Banken auf den Philippinen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehe. Drei Tage darauf beantragte die Wirecard AG die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen, das am 25.08.2020 eröffnet wurde. Bereits in den Jahren zuvor hatte es immer wieder Medienberichte, insbesondere in der "Financial Times", über (bilanzielle) Unregelmäßigkeiten im Wirecard-Konzern gegeben.
Das Landgericht hat die auf Zahlung von 64.833,75 Euro nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht (OLG) hat die Berufung des Klägers durch Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 Zivilprozessordnung (ZPO) zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde. Diese hat laut BGH keinen Erfolg. Die Zulassungsvoraussetzungen des § 543 Absatz 2 Satz 1 ZPO lägen nicht vor.
Das OLG habe einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus Amtshaftung beziehungsweise unter dem Gesichtspunkt des unionsrechtlichen Staathaftungsanspruchs zu Recht verneint. Die von der Beschwerde als grundsätzlich aufgeworfenen Rechtsfragen, insbesondere zu den Regelungen der Richtlinie 2004/109/EG und zur Änderung der Richtlinie 2011/34/EG (Transparenz-Richtlinie) sowie der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 (Marktmissbrauchsverordnung), seien nicht entscheidungserheblich. Die Maßnahmen der BaFin im Rahmen der Marktmissbrauchsüberwachung und der Bilanzkontrolle bezüglich der Wirecard AG im Zeitraum von April 2015 bis Juni 2020 seien weder nach § 6 oder §§ 106 ff WpHG a.F. noch im Hinblick auf die Regelungen der Transparenz-Richtlinie oder der Marktmissbrauchsverordnung zu beanstanden und bei voller Wahrung der Belange einer effektiven Bilanzkontrolle jedenfalls vertretbar gewesen.
Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof sah der BGH daher nicht veranlasst. Dies gelte ebenfalls für die Frage, ob § 4 Absatz 4 des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes im Hinblick auf unionsrechtliche Vorgaben der Marktmissbrauchsverordnung unanwendbar ist. Auch die anderen Rügen des Klägers (Divergenz zur Senatsrechtsprechung, rechtliches Gehör) griffen nicht durch.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.01.2024, III ZR 57/23