24.01.2024
Müllabfuhrfahrzeug: Muss vorsichtig umfahren werden
Wer an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, muss entweder ausreichend Abstand einhalten oder so langsam fahren, dass er sich auf plötzlich hinter dem Fahrzeug hervortretende Müllwerker einstellen kann. Unterlässt er dies, verstößt er damit gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO), wie der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden hat.
Die Klägerin, ein Pflegedienst, macht gegen einen für die Abfallwirtschaft zuständigen kommunalen Zweckverband Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend. Eine Mitarbeiterin der Klägerin fuhr mit einem Pflegedienstfahrzeug aus der Gegenrichtung kommend an einem Müllabfuhrfahrzeug des beklagten Zweckverbandes vorbei, das mit laufendem Motor, laufender Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage in der Straße stand. Dabei kam es zu einer Kollision des Pflegedienstfahrzeugs mit einem Müllcontainer, den ein Müllwerker hinter dem Müllabfuhrfahrzeug quer über die Straße schob.
Die Klägerin begehrte Erstattung der Fahrzeugreparaturkosten. Das Landgericht (LG) hat der Klage unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 zu 50 teilweise stattgegeben. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht (OLG) das Urteil des LG teilweise abgeändert und den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 75 (Beklagter) zu 25 (Klägerin) zu weiterem Schadensersatz verurteilt. Es ist dabei davon ausgegangen, dass der Fahrerin des Pkw kein Verstoß gegen die StVO anzulasten sei. Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Der BGH hob das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zurück.
Der Klägerin stehe gegen den Beklagten als Halter des Müllabfuhrfahrzeugs ein Schadensersatzanspruch aus § 7 Straßenverkehrsgesetz zu, da das Fahrzeug der Klägerin "bei dem Betrieb" des Müllabfuhrfahrzeugs beschädigt worden ist. Die Gefahr, die von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, sei dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen.
Bei der Entscheidung über die Haftungsverteilung habe das OLG zu Recht dem Müllwerker einen schuldhaften Verstoß gegen § 1 Absatz 2 StVO vorgeworfen, weil er hinter dem Müllabfuhrfahrzeug einen Müllcontainer quer über die Straße schob, ohne auf den Verkehr und das Fahrzeug der Klägerin zu achten, welches für ihn – hätte er den Müllcontainer nicht vor sich hergeschoben – erkennbar gewesen wäre.
Allerdings sei – entgegen der Ansicht des OLG – auch der Mitarbeiterin der Klägerin als Fahrerin des Pkw ein Verstoß gegen die StVO vorzuwerfen: Das Hauptaugenmerk der mit dem Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern befassten Müllwerker sei auf ihre Arbeit gerichtet, die sie überwiegend auf der Straße und effizient, das heißt in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst kurzen Wegen, zu erledigen hätten. Wer an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, das erkennbar im Einsatz ist, dürfe daher nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen. Er müsse damit rechnen, dass Müllwerker plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortreten und unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum tun, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern.
Auf diese typischerweise mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren habe der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten einzurichten. Lässt sich ein ausreichender Seitenabstand zum Müllabfuhrfahrzeug, durch den die Gefährdung eines plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortretenden Müllwerkers vermieden werden kann, nicht einhalten, sei die Geschwindigkeit gemäß §§ 1, 3 Absatz 1 Satz 2 StVO so weit zu drosseln, dass der Verkehrsteilnehmer sein Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen bringen kann.
Den dargelegten Anforderungen genügte die vom OLG festgestellte Fahrweise der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht. Bei einem Seitenabstand von maximal 50 Zentmetern zum Müllabfuhrfahrzeug sei die Ausgangsgeschwindigkeit von 13 km/h zu hoch gewesen, als dass die Fahrerin das Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen hätte bringen können.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.12.2023, VI ZR 77/23