22.01.2024
Entgeltlicher Verzicht auf Nießbrauchrecht: Keine Veräußerung im Sinne des § 23 EStG
Die entgeltliche Ablösung eines Nießbrauchrechts stellt keinen Veräußerungsvorgang im Sinne des § 23 Einkommensteuergesetz (EStG) dar, sondern einen von dieser Vorschrift nicht erfassten veräußerungsähnlichen Vorgang. Dies hat das Finanzgericht (FG) Münster entschieden.
Der Klägerin wurde 2008 im Wege eines Vermächtnisses ein Nießbrauchrecht an einem Grundstück zugewendet. 2012 überließ sie das Grundstück an eine Kommanditgesellschaft, an der sie selbst als Gesellschafterin beteiligt war. Die Mieteinnahmen stellten Sonderbetriebseinnahmen dar. Nachdem die Klägerin im Jahr 2018 aus der Kommanditgesellschaft ausgeschieden war, überführte sie das Nießbrauchrecht in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung zu einem Wert von null Euro in ihr steuerliches Privatvermögen und erfasste die Mieteinnahmen fortan als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Im November 2019 verzichtete die Klägerin sodann gegen eine Entschädigungszahlung auf ihr Nießbrauchrecht.
Im Rahmen der bei der Klägerin durchgeführten Betriebsprüfung vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass die Ablösung des Nießbrauchs zu Einkünften im Sinne des § 23 EStG geführt habe. Die Entnahme des Nießbrauchrechts aus dem Sonderbetriebsvermögen habe zu einer Anschaffung nach § 23 Absatz 1 Satz 2 EStG geführt, sodass der entgeltliche Verzicht innerhalb der – aufgrund der Nutzung als Einkunftsquelle gemäß § 23 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 4 EStG verlängerten – zehnjährigen Veräußerungsfrist erfolgt sei. Die Klägerin vertrat demgegenüber unter anderem die Auffassung, dass das Nießbrauchrecht nicht veräußert, sondern – als nicht übertragbares Recht – lediglich abgelöst worden sei.
Das FG hat der Klage vollumfänglich stattgegeben. Das Nießbrauchrecht stelle zwar als ein gegenüber dem Eigentum an der belasteten Sache verselbstständigtes, dingliches Nutzungsrecht ein Wirtschaftsgut im Sinne des § 23 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 EStG dar. Auch seien Nießbrauchrechte einlage- und damit auch entnahmefähig, sodass die Klägerin das Nießbrauchrecht im Jahr 2018 gemäß § 23 Absatz 1 Satz 2 EStG durch Entnahme ins Privatvermögen übernommen habe.
Durch den entgeltlichen Verzicht im Jahr 2019 sei das Nießbrauchrecht jedoch nicht veräußert worden. Unter Anschaffung beziehungsweise Veräußerung im Sinne des § 23 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 EStG sei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs der entgeltliche Erwerb und die entgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsguts auf einen Dritten zu verstehen. Eine "Veräußerung" setze somit nicht nur die Entgeltlichkeit des Übertragungsvorgangs, sondern auch einen Rechtsträgerwechsel an dem veräußerten Wirtschaftsgut voraus. Davon abzugrenzen seien so genannte veräußerungsähnliche Vorgänge – also die Erbringung eines Entgeltes dafür, dass ein Vermögenswert in seiner Substanz endgültig aufgegeben werde. Da das Nießbrauchrecht gemäß § 1059 Bürgerliches Gesetzbuch kraft ausdrücklich gesetzlicher Regelung nicht übertragbar sei, fehle es an einem Rechtsträgerwechsel. Der Verzicht auf das Nießbrauchrecht führe nicht dazu, dass dieses Wirtschaftsgut an den Grundstückseigentümer (zurück) übertragen werde, sondern zu dessen Erlöschen. Insofern handele es sich um die endgültige Aufgabe eines Vermögenswertes in seiner Substanz und damit um einen veräußerungsähnlichen Vorgang.
Solche veräußerungsähnlichen Vorgänge seien von § 23 EStG nicht erfasst. Hierfür spreche neben dem Wortlaut auch der Charakter des § 23 EStG, der als Ausnahmevorschrift im Rahmen des Dualismus der Einkunftsarten nur ausgewählte Wertveränderungen des Privatvermögens der Besteuerung unterwerfe. Hätte der Gesetzgeber auch veräußerungsähnliche Vorgänge von § 23 EStG erfasst wissen wollen, hätte er eine entsprechende Erweiterung der Norm vorgenommen. In § 23 EStG fehle jedoch eine entsprechende Vorschrift zu § 20 Absatz 2 Satz 2 EStG, durch die der Veräußerung verschiedene Ersatztatbestände gleichgestellt würden.
Das FG hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.
Finanzgericht Münster, Urteil vom 12.12.2023, 6 K 2489/22 E