05.12.2023
Rettungswagen: Muss bei Einfahrt in Kreuzung bei roter Ampel besondere Sorgfalt walten lassen
Ein Rettungsdienstfahrer darf eine Kreuzung bei Rot nur überqueren, wenn er sich überzeugt hat, dass er von den anderen Verkehrsteilnehmern wahrgenommen wurde. Kommt es zur Kollision mit einem bei Grün querenden Fahrzeug, weil dessen Fahrer den Rettungswagen aus Unachtsamkeit übersehen beziehungsweise überhört hat, kommt eine hälftige Schadensteilung in Betracht. Dies hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main bestätigt.
Die Parteien streiten um Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall. Das Fahrzeug der Klägerin und das Notarzteinsatzfahrzeug der Beklagten fuhren zeitgleich auf eine ampelgeregelte Kreuzung zu. Die Ampel für das Klägerfahrzeug sprang auf Grün, die Ampel für das Einsatzfahrzeug zeigte Rot. Da das vor dem Klägerfahrzeug stehende Fahrzeug trotz Grünlichts nicht anfuhr, wechselte der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs auf die linke Spur und fuhr in den Kreuzungsbereich ein. Dort kollidierte er mit dem Einsatzwagen, der mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn fuhr. Bei beiden Fahrzeugen entstanden Sachschäden.
Die Klägerin begehrt 75 Prozent des Schadens von der Beklagten. Das Landgericht (LG) hatte nach Beweisaufnahme eine hälftige Schadensteilung ausgeurteilt. Das OLG hat diese Haftungsquote auf die Berufungen beider Parteien bestätigt.
Der Fahrer des Notarztwagens habe seine Sorgfaltspflichten bei der Wahrnehmung von Sonderrechten verletzt. Zwar sei ein Fahrzeug des Rettungsdienstes bei einer Einsatzfahrt von den Vorschriften der StVO befreit. Dennoch komme den Erfordernissen der Verkehrssicherheit stets Vorrang gegenüber den Interessen des Einsatzfahrzeugs am raschen Vorwärtskommen zu, führte das OLG aus. Je mehr der Sonderrechtsfahrer von Verkehrsregeln abweiche, umso höhere Sorgfalt müsse er walten lassen.
Er dürfe eine Kreuzung nur dann bei Rot überqueren, wenn er sich überzeugt habe, dass die anderen Verkehrsteilnehmer ihn wahrgenommen und sich auf seine Absicht eingestellt haben. Solange bei einer querenden Straße mit mehreren Fahrspuren eine Fahrspur frei sei und nicht durch wartende Fahrzeuge blockiert werde, dürfe der Sonderrechtsfahrer nicht darauf vertrauen, dass er die Kreuzung gefahrlos überqueren könne. "Es gibt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (...) keinen allgemeinen Vertrauensgrundsatz zugunsten des bevorrechtigten Fahrers, durch Einschaltung des Blaulichts und des Martinshorns seien die übrigen Verkehrsteilnehmer schon in ausreichender Weise gewarnt", betont das OLG.
Der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs habe ebenfalls einen erheblichen Verkehrsverstoß begangen. Er habe nicht auf die Sondersignale des Einsatzfahrzeugs geachtet. Er habe auch nicht beachtet, dass das vor ihm auf der rechten Spur stehende Fahrzeug mit Grund stehengeblieben sein könnte. "Ein umsichtiger Fahrer hätte zumindest eine unklare Verkehrslage angenommen und seine Fahrweise entsprechend eingerichtet", begründet das OLG weiter.
Angesichts des gleichwertigen Verursachungs- und Verschuldensbeitrags habe das LG von einer Haftungsquote von 50 Prozent zu 50 Prozent ausgehen dürfen.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 20.11.2023, 17 U 121/23, unanfechtbar