31.08.2023
Dienstliche Beurteilung: Nicht ohne gesetzliche Regelung
Für die dienstlichen Beurteilungen der Soldaten der Bundeswehr fehlt eine ausreichende gesetzliche Grundlage. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden.
Die dienstliche Beurteilung eines Offiziers erfolgte auf der Grundlage des neuen Beurteilungssystems der Bundeswehr und fiel im Gesamturteil mit "D+" aus. Dies bedeutet, dass der Soldat knapp unter dem Bereich der besten 30 Prozent lag. Der Offizier machte geltend, dass er erst acht Monate vor dem Beurteilungsstichtag zu seiner neuen Dienststelle versetzt worden sei und sein früherer Vorgesetzter ihm wesentlich bessere Leistungen bescheinigt und eine Leistungsprämie gewährt habe. Dieser Beurteilungsbeitrag sei ebenso unzureichend gewürdigt worden wie sein Engagement als Ausbilder und Flieger in einer Nebenfunktion, für die es an einem Beurteilungsbeitrag fehle. Er sei ein Opfer der neu festgelegten Quote für kleine Vergleichsgruppen. Außerdem fehle den Beurteilungsrichtlinien des Bundesverteidigungsministeriums eine ausreichende gesetzliche Grundlage.
Der 1. Wehrdienstsenat hat dem Antrag des Offiziers stattgegeben. Das Soldatengesetz enthalte keine dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Gesetzesvorbehalts genügende Ermächtigungsgrundlage für das Beurteilungswesen. Öffentliche Ämter würden gemäß Artikel 33 Absatz 2 Grundgesetz nach Eignung, Leistung und Befähigung vergeben. Dabei spielten die dienstlichen Beurteilungen der Soldaten eine zentrale Rolle. Nach der neueren beamtenrechtlichen Rechtsprechung müssten die wesentlichen Grundsätze für die Erstellung der Beurteilungen vom Gesetzgeber bestimmt werden. Er dürfe dies nicht allein dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen. Im Soldatenrecht gelte nichts Anderes, betont das BVerwG.
Für eine Übergangszeit könne das bisherige System der dienstlichen Beurteilung auf der Grundlage der Soldatenlaufbahnverordnung (§§ 2, 3 SLV) und allgemeiner Verwaltungsvorschriften (Allgemeine Regelung A-1340/50) weitergeführt werden. Denn die frühere Rechtsprechung habe das Fehlen einer gesetzlichen Regelung nicht beanstandet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.05.2009, 1 WB 48.07). Außerdem würden die oben genannten Regelungen den Anforderungen des Leistungsgrundsatzes gerecht. Die gebotene Ergänzung des Soldatengesetzes sei bereits durch eine Gesetzesinitiative der Bundesregierung auf den Weg gebracht worden (BR-Drs. 377/23), sodass ein Ende der Übergangszeit absehbar sei.
Im vorliegenden Fall war die dienstliche Beurteilung des Offiziers nach Ansicht des BVerwG deswegen rechtswidrig, weil ein Beurteilungsbeitrag für die fliegerische Nebenfunktion nicht eingeholt worden ist. Ferner sei im Beschwerde- und Rechtsmittelverfahren das Gesamturteil nicht hinreichend plausibilisiert worden. Der Zweitbeurteiler hätte auf das substantiierte Vorbringen des Offiziers, er habe einen sehr guten Beurteilungsbeitrag und eine Leistungsprämie erhalten, näher erläutern müssen, warum der Soldat bei einer Gesamtbewertung gleichwohl nicht zur Spitzengruppe gehört. Die Vergleichsgruppenbildung hat das BVerwG nicht beanstandet. Es hat betont, dass bei kleinen Vergleichsgruppen unter 20 Mitgliedern keine strikte Bindung an Richtwerte gilt und dem Gebot der Einzelfallgerechtigkeit Rechnung zu tragen ist.
Ferner hat es seine Rechtsprechung dahingehend geändert, dass die dienstliche Beurteilung im gerichtlichen Verfahren als einheitliche dienstliche Maßnahme anzusehen ist. Eine isolierte gerichtliche Überprüfung der Stellungnahme des Erst- oder Zweitbeurteilers finde nicht mehr statt, weil erst nach dem vom Zweitbeurteiler abgegebenen Gesamturteil eine vollständige Beurteilung vorliegt.
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.08.2023, BVerwG 1 WB 60.22