31.07.2023
Musterfeststellungsklage: Kann in der Insolvenz gegen Insolvenzverwalter erhoben werden
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Unternehmens kann eine Musterfeststellungsklage gegen den Insolvenzverwalter erhoben werden. Das setzt nicht voraus, dass dieser das Unternehmen fortführte, wie der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden hat.
Der Beklagte ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Energieversorgungsgesellschaft (Schuldnerin). Diese warb Kunden von Energielieferverträgen über Gas und Strom unter anderem mit einem vom Jahresumsatz abhängigen Neukundenbonus. Anfang 2019 stellte die Schuldnerin die Belieferung ihrer Kunden ein.
Der Beklagte rechnete nach seiner Bestellung zum vorläufigen Verwalter die Verträge von mehr als 100.000 Kunden der Schuldnerin ohne Berücksichtigung des Neukundenbonus ab, wenn nicht eine Mindestvertragslaufzeit von einem Jahr erreicht war. Im Übrigen vertritt er die Auffassung, die Berücksichtigung etwaiger Boni würde sich als insolvenzrechtlich unzulässige Aufrechnung darstellen; entsprechende Forderungen seien zur Insolvenztabelle anzumelden.
Der Kläger, ein eingetragener Verein zum Schutz von Verbraucherinteressen, begehrt im Wege der Musterfeststellungsklage gegenüber dem Beklagten die Feststellung, dass einer Berücksichtigung des Neukundenbonus in den Abrechnungen eines Energielieferungsvertrages zwischen einem Verbraucher und der Schuldnerin nicht die Tatsache entgegensteht, dass die Belieferung durch die Schuldnerin und/oder den vorläufigen Insolvenzverwalter vor Ablauf der Mindestvertragslaufzeit endete. Weiter beantragt er die Feststellung, dass die Berücksichtigung des prozentual vom Umsatz gewährten Neukundenbonus in der Weise zu erfolgen hat, dass die Entgeltforderung in der Endabrechnung um den Bonus zu kürzen ist und dies keinem insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverbot unterfällt.
Die Klage war erfolgreich. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des von den Feststellungszielen betroffenen Unternehmens könne die Musterfeststellungsklage gegen den Insolvenzverwalter erhoben werden. Das setze nicht voraus, dass dieser das Unternehmen fortführte, so der BGH.
Insolvenzrechtliche Bestimmungen über die Forderungsfeststellung stünden im vorliegenden Fall einer Musterfeststellungsklage nicht entgegen. Durch die Benennung der Feststellungsziele sei die Klage rechtswirksam auf Masseforderungen und damit auf (künftige) Aktivprozesse der Masse beschränkt worden. Deshalb komme es auch nicht auf das Verhältnis der Vorschriften des Musterfeststellungsverfahrens zu denjenigen des insolvenzrechtlichen Forderungsfeststellungsverfahrens an.
Aus der Sicht eines verständigen und redlichen Verbrauchers beschränkten die für die Auslegung maßgeblichen Belieferungsbestätigungen, auf welche die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Schuldnerin verweisen, die Gewährung eines Neukundenbonus nicht auf eine Mindestvertragslaufzeit von einem Jahr. Vielmehr werde der Neukundenbonus neben dem Grund- und dem Arbeitspreis mit einem Anteil vom Jahresumsatz im Sinne eines laufzeitunabhängigen, einmaligen Rabatts aufgeführt. Daher handele es sich nicht um eine eigenständige Forderung, sondern nur um einen im Rahmen der Jahresverbrauchsabrechnung abzusetzenden Rechnungsposten. Die Berücksichtigung des Rabatts stelle deswegen keine insolvenzrechtlich unzulässige Aufrechnung oder Verrechnung dar.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.07.2023, IX ZR 267/20