21.07.2023
Beschuldigte aus dem Reichsbürgermilieu: Fortdauer der U-Haft angeordnet
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Sechs-Monats-Haftprüfung entschieden, dass die Untersuchungshaft gegen 22 dem Milieu der so genannten Reichsbürger zugehörige Beschuldigte fortzudauern hat. Die Beschuldigten waren im Dezember 2022 aufgrund von Haftbefehlen des BGH-Ermittlungsrichters festgenommen worden.
Gegen 19 Beschuldigte waren die Haftanordnungen auf den Vorwurf der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung, gegen drei weitere Beschuldigte auf denjenigen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gestützt. Zwei der mutmaßlichen Mitglieder sollen überdies als Rädelsführer agiert haben. Der Ermittlungsrichter des BGH hatte die Haftgründe der Fluchtgefahr und – weitgehend auch – der Schwerkriminalität angenommen.
Der BGH hat nach den von den Ermittlungsbehörden bisher gewonnenen Erkenntnissen unter anderem folgenden Sachverhalt als hochwahrscheinlich erachtet: Die Beschuldigten, die der Reichsbürger- und QAnon-Bewegung angehörten, schlossen sich zu einer auf längere Dauer angelegten Organisation zusammen, die zum Ziel hatte, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland zu überwinden sowie durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen. Auf Grundlage einer entsprechenden gemeinsamen Gesinnung erwarteten sie an einem unmittelbar bevorstehenden, aber noch nicht festgelegten "Tag X" einen Angriff auf die oberste Ebene der staatlichen Führung der Bundesrepublik Deutschland durch die "Allianz", einen Geheimbund bestehend aus Angehörigen ausländischer Regierungen, Streitkräften und Geheimdiensten.
Zum Zweck der Umsetzung ihrer Umsturzpläne schufen die Angehörigen der Gruppierung organisatorische, hierarchische und verwaltungsähnliche Strukturen mit einem so genannten Rat als zentralem Gremium und einem militärischen Arm. Dieser von ihnen als das "Militär" bezeichnete Teil der Organisation sollte im Zuge des Angriffs durch die "Allianz" die noch verbleibenden Institutionen und Repräsentanten des Staates mit Waffen bekämpfen und ihre Machtergreifung durch ein deutschlandweites Netz von so genannten Heimatschutzkompanien absichern.
Der BGH hat bei 20 Beschuldigten den dringenden Verdacht der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung sowie der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens bejaht.
Nach der maßgeblichen Verdachtslage handele es sich bei der Gruppierung um die Beschuldigten hochwahrscheinlich um eine terroristische Vereinigung. Denn sie habe aus mehr als zwei Personen bestanden, sei auf längere Dauer angelegt gewesen, habe eine organisatorische Struktur gehabt und mit der Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik sowie der Schaffung eines neuen deutschen Staatswesens ein übergeordnetes gemeinsames Interesse verfolgt. Dieses Ziel wollten die Mitglieder der Vereinigung laut BGH hochwahrscheinlich durch die Begehung von Katalogtaten im Sinne des § 129a Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) erreichen. Die Beschuldigten wussten und fanden sich um des von ihnen verfolgten Zieles willen damit ab, dass es sowohl bei der vermeintlichen Unterstützung eines Angriffs durch die "Allianz" am "Tag X" als auch bei der gewaltsamen Erstürmung des Reichstagsgebäudes zu vorsätzlichen Tötungen von Repräsentanten des Staates und Amtsträgern gemäß §§ 211, 212 StGB kommen werde.
Die 20 Beschuldigten gliederten sich laut BGH mit hoher Wahrscheinlichkeit einvernehmlich in die terroristische Vereinigung ein und trugen mit ihrem Wirken im Rat beziehungsweise für den militärischen Arm unmittelbar zur Durchsetzung der Ziele der Organisation bei. Zwei Beschuldigte seien überdies Rädelsführer der Gruppierung gewesen.
Darüber hinaus hält der BGH die vorgenannten 20 Beschuldigten als der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens nach § 83 Absatz 1 StGB dringend verdächtig. Ihre Aktivitäten hätten hochwahrscheinlich darauf abgezielt, die grundgesetzliche Ordnung gewaltsam zu ändern und damit einen Verfassungshochverrat zu begehen. Die Handlungen, von denen im Sinn eines dringenden Tatverdachts auszugehen gewesen sei, beruhten zwar bei objektiver Betrachtung auf einem jedenfalls teilweise nicht ohne Weiteres nachvollziehbaren gedanklichen Fundament. Sie wiesen jedoch gleichwohl den zur Tatbestandserfüllung erforderlichen spezifischen Gefährlichkeitsgrad auf.
Bei zwei Beschuldigten hat der BGH den dringenden Tatverdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angenommen, da sie mit hoher Wahrscheinlichkeit vorsätzlich die Beteiligungshandlungen einzelner Mitglieder der terroristischen Vereinigung sowohl physisch als auch psychisch förderten.
Nach den Entscheidungen lagen auch die weiteren Voraussetzungen für die Anordnung und Fortdauer der U-Haft vor. Danach war bei allen Beschuldigten der Haftgrund der Fluchtgefahr, in den Fällen der mitgliedschaftlichen Beteiligung auch derjenige der Schwerkriminalität gegeben. Der besondere Umfang und die besondere Schwierigkeit des Verfahrens haben laut BGH ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Haftfortdauer. Schließlich sei nach Abwägung zwischen den Freiheitsgrundrechten der Beschuldigten einerseits sowie dem jeweiligen Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt.
Bundesgerichtshof, Beschlüsse vom 11., 12. und 13.07.2023, AK 21-28/23 und AK 34-47/23