12.07.2023
Gründungsgesellschafter: Zur Abgrenzung zwischen spezialgesetzlicher Prospekthaftung und Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluss
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) beschäftigt sich in mehreren Verfahren mit der Abgrenzung zwischen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung und der Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluss. Konkret geht es um die Haftung von Gründungsgesellschaftern einer Publikumskommanditgesellschaft, die Immobilieninvestments auf dem US-amerikanischen Markt plante.
Die Anleger, die sich Ende 2010 beziehungsweise im Jahr 2011 an der Gesellschaft beteiligten, machen geltend, sie seien nicht hinreichend über kapitalmäßige beziehungsweise personelle Verflechtungen aufgeklärt worden. Die im Wesentlichen auf Feststellung einer Schadenersatzpflicht gerichteten Klagen hatten in den Vorinstanzen Erfolg. Auf die Beschwerden der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision hatte der BGH durch Beschlüsse vom 21.03.2023 die Revisionen zugelassen.
Die Parteien der Revisionsverfahren wurden durch Beschlüsse vom 27.06.2023 darauf hingewiesen, dass nach der vorläufigen rechtlichen Bewertung des II. Zivilsenats des BGH eine Haftung der geschäftsführenden Kommanditistin der Fondsgesellschaft unter dem Gesichtspunkt eines Verschuldens bei Vertragsschluss in Betracht kommt.
Der II. Zivilsenat beabsichtigt, an seiner Rechtsprechung festzuhalten, nach der im Anwendungsbereich der spezialgesetzlichen Prospekthaftung nach § 13 Verkaufsprospektgesetz (VerkProspG), §§ 44 ff. Börsengesetz (BörsG) in der bis zum 31.05.2012 geltenden Fassung eine Haftung der Altgesellschafter wegen Verletzung von Aufklärungspflichten gemäß §§ 280 Absatz 1, 3, 282, 241 Absatz 2, 311 Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht ausgeschlossen wird.
Die mit dem Gesetz zur Verbesserung des Anlegerschutzes vom 28.10.2004 geschaffenen spezialgesetzlichen Aufklärungspflichten und das mit ihnen verbundene Haftungsregime rechtfertigten unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des XI. Zivilsenats allerdings eine Neuausrichtung der nach der bisherigen Rechtsprechung des II. Zivilsenats bestehenden allgemeinen Aufklärungspflichten der Altgesellschafter. Eine vorvertragliche Aufklärungspflicht treffe danach nur noch solche Altgesellschafter, die entweder selbst den Vertrieb der Beteiligungen an Anleger übernehmen oder in sonstiger Weise für den von einem anderen übernommenen Vertrieb Verantwortung tragen.
Vertriebsverantwortung trügen danach, soweit der Vertriebsauftrag von der Fondsgesellschaft erteilt wurde, die geschäftsführungsbefugten Altgesellschafter. Eine Altgesellschafterin trage die Verantwortung für eine ordnungsgemäße Aufklärung der Beteiligungsinteressenten aber nicht allein deswegen, weil ihr Alleingesellschafter aufgrund eines von der Fondsgesellschaft erteilten Auftrags den Vertrieb der Beteiligungen übernommen hat. Eine personelle Verflechtung eines Altgesellschafters mit der Vertriebsgesellschaft begründe ebenfalls keine Verantwortung für den Vertrieb.
Der XI. Zivilsenat des BGH hat auf Anfrage des II. Zivilsenats mitgeteilt, dass seine Rechtsprechung, nach der die spezialgesetzliche Prospekthaftung gemäß den § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31.05.2012 geltenden Fassung in ihrem Anwendungsbereich eine Haftung der Gründungsgesellschafter als Prospektveranlasser unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung gemäß § 280 Absatz 1 BGB in Verbindung mit § 311 Absatz 2 BGB ausschließt, einer an die Vertriebsverantwortung anknüpfenden Haftung der Altgesellschafter gemäß §§ 280 Absatz 1, 3, 282, 241 Absatz 2, 311 Absatz 2 BGB wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten nicht entgegensteht.
Bundesgerichtshof, Beschlüsse vom 27.06.2023, II ZR 57/21, II ZR 58/21 und II ZR 59/21