11.07.2023
Motorhersteller: Zur Haftung in Dieselfällen
Ein Motorhersteller, der nicht zugleich Fahrzeughersteller ist, haftet Käufern der vom Dieselskandal betroffenen Fahrzeugen nur dann, wenn er entweder selbst im Sinne der §§ 826, 31 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sittenwidrig vorsätzlich gehandelt hat oder wenn er dem Fahrzeughersteller nach §§ 823 Absatz 2, 830 Absatz 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Absatz 1, 27 Absatz 1 der Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge (EG-FGV) vorsätzlich Beihilfe zu dessen vorsätzlichem Inverkehrbringen eines Kraftfahrzeugs mit einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung geleistet hat. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.
Der Kläger nimmt die beklagte Motorherstellerin, die nicht zugleich Fahrzeugherstellerin ist, wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kfz auf Schadenersatz in Anspruch. Der Kläger hatte im April 2019 von einem Händler ein gebrauchtes Kfz eines anderen Fahrzeugherstellers gekauft, das mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Motor der Baureihe EA 897 (Euro 6) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug war bereits zuvor von einem vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) angeordneten Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen. Ein von der Beklagten zur Beseitigung der vom KBA beanstandeten Abschalteinrichtung erstelltes Software-Update hatte das KBA am 01.08.2018 freigegeben.
Die auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich des Wertes gezogener Nutzungen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs gerichtete Klage hatte vor dem Landgericht weitgehend Erfolg. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage insgesamt abgewiesen, weil der Kläger weder nach §§ 826, 31 BGB noch nach § 823 Absatz 2 BGB in Verbindung mit § 6 Absatz 1, § 27 Absatz 1 EG-FGV Schadenersatz von der Beklagten verlangen könne. Das gelte auch, soweit er sein Begehren auf das Vorhandensein eines Thermofensters stütze. Mit der Revision hat der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehrt.
Der BGH hat die Revision des Klägers zurückgewiesen, weil er aufgrund der bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts davon auszugehen hatte, der Beklagten falle weder selbst eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung des Klägers zur Last noch habe sie vorsätzlich Beihilfe dazu geleistet, dass der Fahrzeughersteller das Fahrzeug vorsätzlich mit einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung – hier: bezogen auf ein in das Fahrzeug verbautes Thermofenster – in den Verkehr gebracht habe.
Zwar stehe, wie der BGH nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteilen von 26.06.2023 entschieden hat, dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Artikels 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kfz unter den Voraussetzungen des § 823 Absatz 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Absatz 1, 27 Absatz 1 EG-FGV ein Anspruch gegen den Fahrzeughersteller auf Ersatz des Differenzschadens zu.
Die Sonderpflicht, eine mit den (unions-)gesetzlichen Vorgaben konvergierende Übereinstimmungsbescheinigung auszugeben, treffe indessen nur den Fahrzeug-, nicht den Motorhersteller. Der BGH hat die Haftung nach § 823 Absatz 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Absatz 1, 27 Absatz 1 EG-FGV unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 21.03.2023, C-100/21) in seinen Urteilen vom 26.06.2023 auf die Erteilung einer unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung gestützt, die der Fahrzeughersteller in seiner Eigenschaft als Inhaber einer EG-Typgenehmigung gemäß Artikel 18 Absatz 1 der Richtlinie 2007/46/EG jedem Fahrzeug beilegt und die gemäß Artikel 3 Nr. 36 der Richtlinie 2007/46/EG nicht nur die Übereinstimmung des erworbenen Fahrzeugs mit dem genehmigten Typ, sondern auch die Einhaltung aller Rechtsakte bescheinigt. Die Haftung nach § 823 Absatz 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Absatz 1, 27 Absatz 1 EG-FGV knüpfe an die Erteilung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung durch den Fahrzeughersteller an. Der Motorhersteller könne deshalb, weil er die Übereinstimmungsbescheinigung nicht ausgibt, nach den allgemeinen und durch das Unionsrecht unangetasteten Grundsätzen des deutschen Deliktsrechts weder Mittäter einer Vorsatztat des Fahrzeugherstellers noch mittelbarer (Vorsatz-)Täter hinter dem (gegebenenfalls fahrlässig handelnden) Fahrzeughersteller sein, weil ihn nicht die hierzu erforderliche Sonderpflicht treffe.
Eine bei Sonderdelikten mögliche Beteiligung der Beklagten als Motorherstellerin im Sinne des § 830 Absatz 2 BGB an einer deliktischen Schädigung des Fahrzeugherstellers, die ebenfalls geeignet gewesen wäre, ihre deliktische Haftung zu begründen, sei nach den nicht beachtlich angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht in Betracht gekommen, so der BGH weiter. Zwar könne Beihilfe auch zu Sonderdelikten geleistet werden, bei denen der Gehilfe nicht Täter sein kann. Voraussetzung sei allerdings nicht nur, dass der Gehilfe mit doppeltem Vorsatz hinsichtlich der fremden rechtswidrigen Tat und der eigenen Unterstützungsleistung gehandelt hat. Bedingung einer Beteiligung sei vielmehr weiter eine Vorsatztat des Fahrzeugherstellers. Die vorsätzliche Förderung einer fahrlässigen Tat erfülle die Voraussetzungen des § 830 Absatz 2 BGB nicht. Eine Vorsatztat des Fahrzeugherstellers habe das Berufungsgericht, ohne dass die Revision dem beachtlich entgegengetreten wäre, nicht festgestellt.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.07.2023, VIa ZR 1119/22