24.05.2023
Strafaussetzung zur Bewährung: Nicht bei erheblichen Bedenken im Hinblick auf künftige Straffreiheit
Das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig hatte sich mit den Grenzen der Strafaussetzung zur Bewährung zu befassen. Es hat die Begründung und Bewertung einer Entscheidung des Landgerichts (LG) Braunschweig über die Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung beanstandet.
Bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe müssten Strafrichter nicht nur über die Dauer entscheiden, sondern auch darüber, ob die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Mit der Möglichkeit, die Strafe zur Bewährung auszusetzen, solle die Resozialisierung der verurteilten Person in Freiheit gefördert werden. Die Strafaussetzung zur Bewährung sei nach den gesetzlichen Vorgaben nur bei Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren möglich und setze vor allem die Erwartung voraus, dass die verurteilte Person zukünftig auch ohne die Vollstreckung der verhängten Strafe keine Straftaten mehr begehen wird. Das Gericht müsse hierzu eine Prognose erstellen. Für diese Prognoseentscheidung habe es unter anderem die Persönlichkeit der angeklagten Person, ihr Vorleben sowie ihr Verhalten nach der Tat eingehend zu betrachten und zu bewerten. Dem Gericht komme dabei ein weitreichender Beurteilungsspielraum zu. Die Prognoseentscheidung könne seitens des Revisionsgerichts nur dahingehend überprüft werden, ob Abwägungsgesichtspunkte übersehen oder falsch bewertet wurden.
Das LG Braunschweig hatte in einem Berufungsverfahren den Angeklagten unter anderem wegen Körperverletzung, tätlichen Angriffs und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten verurteilt. Die Entscheidung, die Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, hat es im Wesentlichen damit begründet, dass der Angeklagte bisher nur zu Geldstrafen verurteilt worden sei und sich in erster Instanz beim Geschädigten entschuldigt habe. Auch unter Berücksichtigung der persönlichen Lebensumstände des Angeklagten könne die Strafe unter Zurückstellung erheblicher Bedenken noch zur Bewährung ausgesetzt werden. Die gegen ihn erlassenen Bewährungsauflagen seien geeignet, ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Das LG hat ferner berücksichtigt, dass bei einer Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit besondere Milderungsgründe vorliegen müssen. Diese seien in dem Teilgeständnis und der Entschuldigung des Angeklagten zu sehen.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft, die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt war, hat das OLG die Entscheidung des LG über die Aussetzung der Vollstreckung aufgehoben. Das LG habe seiner Prognoseentscheidung einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt, urteilte das OLG. Für die Annahme einer günstigen Prognose genüge es nicht, dass es diese nicht ausschließen könne. Denn Zweifel gingen in diesem Fall zulasten der angeklagten Person. Wenn das Gericht, wie im hiesigen Fall formuliere, "erhebliche Bedenken im Hinblick auf eine zukünftige Straffreiheit" zu haben, dürfe es die Strafe aus Rechtsgründen nicht zur Bewährung aussetzen.
Auch sei näher zu begründen, weshalb die von dem Angeklagten erstinstanzlich geäußerte Entschuldigung ohne Weiteres für die Annahme besonderer Umstände, die bei einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr für die Aussetzung der Vollstreckung erforderlich sind, herangezogen werden könne, da dieser sein Geständnis in der Hauptverhandlung in erheblicher Weise wieder eingeschränkt habe. Das OLG hat weiter darauf verwiesen, dass es bei bestimmten Deliktsgruppen einer eingehenden Auseinandersetzung bedarf, ob die Verteidigung der Rechtsordnung eine Vollstreckung der Strafe gebiete. Dies sei insbesondere bei Straftaten gegen Polizeibeamten der Fall, die im besonderen Maße mit dem Schutz der Rechtsordnung betraut seien.
Das LG Braunschweig muss laut OLG nun erneut über die Frage der Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung entscheiden. Die Revision des Angeklagten sowie die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft hat das OLG als unbegründet verworfen.
Oberlandesgericht Braunschweig, Urteil vom 22.03.2023, 1 Ss 40/22