08.05.2023
Luxemburg: Engie-Gruppe keine unzulässigen Steuervorteile gewährt
Luxemburg hat der Engie-Gruppe keine unzulässigen staatlichen Beihilfen in Form von Steuervorteilen gewährt. Dies meint die Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) Juliane Kokott und widerspricht damit der Einschätzung der EU-Kommission. Zum einen bilde allein das nationale Recht den Referenzrahmen und zum anderen könnten nur nach diesem nationalen Recht offensichtlich falsche Steuervorbescheide einen selektiven Vorteil darstellen.
Die Kommission hatte mit Beschluss vom 20.06.2018 festgestellt, dass Luxemburg der Engie-Gruppe im Rahmen von Umstrukturierungen innerhalb Luxemburgs unzulässige staatliche Beihilfen gewährt habe. Der Gruppe sei in Steuervorbescheiden eine steuerliche Behandlung zugesagt worden, wonach nahezu alle von zwei Tochtergesellschaften in Luxemburg erzielten Gewinne letztlich unversteuert blieben. Denn obwohl auf der Ebene der operativen Tochtergesellschaften nur eine niedrige Besteuerung auf der Grundlage einer vereinbarten Bemessungsgrundlage erfolgt sei, seien die Muttergesellschaften in den Genuss der Steuerbefreiung für Beteiligungserträge (Schachtelprivileg) gekommen. Dadurch sei der Engie-Gruppe in Abweichung vom luxemburgischen Steuerrecht ein selektiver Vorteil gewährt worden. Denn dem nationalen Recht sei ein entsprechendes Korrespondenzprinzip (Steuerbefreiung auf Ebene der Muttergesellschaft nur bei vorheriger Besteuerung auf Ebene der Tochtergesellschaft) zu entnehmen. Zudem habe die Finanzverwaltung unzulässigerweise davon abgesehen, eine Vorschrift zur Vermeidung von Missbräuchen anzuwenden.
Das von der Engie-Gruppe und Luxemburg angerufene Gericht der EU schloss sich der Sichtweise der Kommission vollumfänglich an und wies die Klagen ab. Die Engie-Gruppe und Luxemburg haben daraufhin Rechtsmittel beim EuGH eingelegt.
Generalanwältin Juliane Kokott schlägt dem Gerichtshof vor, den Rechtsmitteln stattzugeben, das Urteil des Gerichts aufzuheben und den Beschluss der Kommission für nichtig zu erklären. Steuervorbescheide seien nicht per se unzulässige Beihilfen. Sie seien ein wichtiges Instrument, um Rechtssicherheit zu schaffen. Beihilferechtlich seien sie unproblematisch, solange sie allen Steuerpflichtigen offenstehen und dem jeweiligen nationalen Steuergesetz entsprechen, das den alleinigen Referenzrahmen bilde.
Hier seien die Kommission und das Gericht bereits von einem falschen Referenzrahmen ausgegangen, so Kokott. Sie hätten nämlich angenommen, dass das damals geltende luxemburgische Steuerrecht ein Korrespondenzprinzip enthielt, das heißt dass eine Steuerbefreiung für Beteiligungserträge auf der Ebene der Muttergesellschaft eine Besteuerung der zugrundeliegenden Gewinne auf der Ebene der Tochtergesellschaft voraussetzt. Ein solcher Zusammenhang sei jedoch nicht ersichtlich und könne nicht einfach, weil womöglich vorzugswürdig, in das luxemburgische Recht hineininterpretiert werden. Über das Beihilferecht könne kein ideales Steuerrecht durch die Unionsorgane gestaltet werden.
Außerdem plädiert Kokott für einen ohnehin nur eingeschränkten Prüfungsmaßstab bezüglich steuerrechtlicher Entscheidungen von Finanzbehörden, der sich auf eine Plausibilitätskontrolle beschränke. Nicht jeder fehlerhafte, sondern nur offensichtlich falsche Steuervorbescheide zugunsten des Steuerpflichtigen könnten einen selektiven Vorteil darstellen und als Verstoß gegen das Beihilferecht angesehen werden. Andernfalls würden die Kommission de facto zu einem Obersten Finanzamt und die Unionsgerichte durch die Kontrolle der Beschlüsse der Kommission zu Obersten Finanzgerichtshöfen, was die Steuerautonomie der Mitgliedstaaten im Bereich der nicht harmonisierten Steuern tangieren würde.
Im vorliegenden Fall seien die Steuervorbescheide nicht offensichtlich falsch. Auch bei der beihilferechtlichen Kontrolle der Anwendung allgemeiner Missbrauchsvorschriften durch nationale Finanzbehörden müsse der Kontrollmaßstab auf eine Plausibilitätskontrolle reduziert werden. Eine offensichtliche Fehlanwendung könne nur angenommen werden, wenn nicht plausibel zu erklären sei, weshalb im konkreten Fall kein Missbrauch in diesem Sinne vorliegen sollte. Im vorliegenden Fall sei das Vorliegen eines Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten nach luxemburgischem Recht jedoch weder offensichtlich noch von der Kommission nachgewiesen.
Generalanwältin beim Europäischem Gerichtshof, Schlussanträge vom 04.05.2025, C-454/21 P und C-451/21 P