18.04.2023
beA: Gericht muss Schreiben mit überlangem Dateinamen berücksichtigen
Ein Gericht muss einen technisch ordnungsgemäß und fristgerecht per beA (= besonderes elektronisches Anwaltspostfach) eingereichten Schriftsatz auch dann berücksichtigen, wenn er wegen eines mehr als 90 Zeichen langen Dateinamens nicht rechtzeitig an das Gericht zugestellt wurde. Ansonsten wird laut Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das Recht auf rechtliches Gehör gemäß Artikel 103 Absatz 1 Grundgesetz (GG) verletzt. Über den Fall berichtete die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK).
Das Amtsgericht (AG) Tostedt hatte im Verfahren einer Erwachsenenadoption eine fristgemäß per beA eingereichte Stellungnahme der leiblichen Tochter unberücksichtigt gelassen. Die Frau vermutete wirtschaftliche Gründe hinter der Adoption eines erwachsenen Mannes durch ihren Vater und befürchtete eine Kürzung ihres gesetzlichen Erbes. Der Stellungnahme beigefügt war ein Handelsregisterauszug mit einem über 90 Zeichen langen Dateinamen.
Der Versand per beA erfolgte zunächst ohne Probleme. Drei Tage später jedoch erhielt die Geschäftsstelle des AG von der IT-Stelle der niedersächsischen Justiz den Hinweis, dass die Nachricht wegen des langen Dateinamens nicht weiterverarbeitet werden könne. Das Gericht informierte den Anwalt der Frau und bat ihn, die Datei erneut mit kürzerem Dateinamen versenden. Dies geschah. Doch das AG sprach in der Folge die Adoption aus, ohne die Stellungnahme zu berücksichtigen, weil sie nicht fristgerecht vorgelegen habe. Eine Gehörsrüge der Tochter wies es ebenfalls ab.
Das BVerfG hat laut BRAK nun entschieden, dass dieses Vorgehen den Anspruch der Frau auf rechtliches Gehör verletzt. Dieser verpflichte das Gericht, die Ausführungen der an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es sei nicht mit diesem Recht vereinbar, wenn ein Gericht einen – wie hier – ordnungsgemäß und fristgerecht eingereichten Schriftsatz unberücksichtigt lasse. Dabei komme es nicht auf ein Verschulden des Gerichts an.
Nach § 130a Absatz 1 und 2 Zivilprozessordnung (ZPO) reiche es, dass das elektronische Dokument für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sei. Die Anforderungen an die Eignung ergäben sich dabei gemäß § 130a Absatz 2 Satz 2 ZPO aus der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV). In §§ 2 und 5 ERVV (jeweils in der bis 31.12.2021 geltenden Fassung) seien keine Höchstgrenzen für die Länge von Dateinamen vorgegeben. Auch aus der aufgrund von § 5 ERVV ergangenen Elektronischer-Rechtsverkehr-Bekanntmachung 2018 vom 19.12.2017 ergäben sich lediglich Obergrenzen für die Anzahl elektronischer Dokumente pro Nachricht und für das Gesamtvolumen elektronischer Dokumente pro Nachricht, nicht jedoch für die Zeichenanzahl der verwendeten Dateinamen. Die zulässige Länge des Dateinamens sei also rechtlich nicht beschränkt gewesen.
Wenn das Gericht einen ordnungsgemäß eingereichten Schriftsatz dennoch nicht verarbeiten könne, stehe dies einer ordnungsgemäßen Einreichung nicht entgegen, wenn sich der Inhalt des Dokuments – wie hier – nachträglich einwandfrei feststellen lasse. Etwas Anderes könne allenfalls dann gelten, wenn das eingereichte Dokument objektiv nicht zur Bearbeitung geeignet sei, beispielweise aufgrund Virenbefalls oder Verschlüsselung.
Das AG Tostedt muss nach Angaben der BRAK nun die Stellungnahme der Tochter berücksichtigen und prüfen, ob der Adoptionsbeschluss deshalb aufzuheben ist oder nicht. Bis zu dieser Entscheidung bleibe er wirksam.
Bundesrechtsanwaltskammer, PM vom 13.04.2023 zu Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 16.02.2023, 1 BvR 1881/21