21.03.2023
Corona-Soforthilfen: Rückforderung war rechtswidrig – nicht benötigte Hilfen dürfen aber noch zurückgefordert werden
Die erfolgten (Teil-)Rückforderungen von Corona-Soforthilfen sind rechtswidrig und die Rückforderungsbescheide deshalb aufzuheben. Denn, so das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen, das Land habe sich bei der Rückforderung nicht an die bindenden Vorgaben aus den Bewilligungsbescheiden gehalten, wonach die Mittel ausschließlich dazu dienten, eine finanzielle Notlage abzumildern, insbesondere Finanzierungsengpässe zu überbrücken. Wenn Zuwendungsempfänger die Corona-Soforthilfen in dem dreimonatigen Bewilligungszeitraum im Frühjahr 2020 nicht oder nur teilweise zu diesen Zwecken benötigt haben, dürfe das Land allerdings neue Schlussbescheide erlassen und überzahlte Mittel zurückfordern.
Die Kläger sind Selbstständige, die von den infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie betroffen waren. Sie stellten im ersten Lockdown am 30.03.2020 beziehungsweise 01.04.2020 beim Land Nordrhein-Westfalen einen Antrag auf Gewährung einer Soforthilfe. Diese wurde ihnen in Höhe von jeweils 9.000 Euro als einmalige Pauschale bewilligt und wenig später ausgezahlt.
Nachdem die Kläger bezogen auf den dreimonatigen Bewilligungszeitraum (März bis Mai 2020 beziehungsweise April bis Juni 2020) Einnahmen und Ausgaben rückgemeldet hatten, ergingen automatisiert Schlussbescheide. Darin wurde ein aus dem elektronischen Rückmeldeformular errechneter "Liquiditätsengpass" festgestellt und die Differenz zwischen diesem und dem ausgezahlten Pauschalbetrag zurückgefordert. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat diese Schlussbescheide aufgehoben.
Das OVG ist dem nur im Ergebnis gefolgt und hat die Berufungen des Landes zurückgewiesen. Die Schlussbescheide seien rechtswidrig und aufzuheben, weil das Land die Vorgaben der Bewilligungsbescheide nicht beachtet hat, die für die endgültige Festsetzung bindend sind. Danach habe die Soforthilfe ausschließlich zur Milderung pandemiebedingter finanzieller Notlagen gedient, insbesondere zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen. Das später vom Land geforderte Rückmeldeverfahren finde in den Bewilligungsbescheiden keine Grundlage. Die darin von den Zuwendungsempfängern verlangten Angaben seien ungeeignet gewesen, um die letztlich jeweils zu belassende Fördersumme unter Berücksichtigung der bindenden Festsetzungen der Bewilligungsbescheide zu bestimmen.
In welchem Umfang Fördermittel während des Bewilligungszeitraums tatsächlich im Rahmen der Zweckbindung der Förderung verwendet worden sind, habe dort nicht angegeben werden können. Denn darauf sei es nach dem Rechtsstandpunkt des Landes, das insoweit den Vorgaben des Bundes folgte, schon nicht angekommen. Zudem seien die Schlussbescheide rechtswidrig, weil sie ohne eine hierfür erforderliche Rechtsgrundlage vollständig durch automatische Einrichtungen erlassen worden sind.
Das Land bleibe allerdings berechtigt, die den Empfängern letztlich zustehende Soforthilfe in Form von neu zu erlassenden "Schlussbescheiden" endgültig festzusetzen und die überzahlten Beträge zurückzufordern, so das OVG weiter. Die Corona-Soforthilfe sei als Billigkeitszuschuss in Gestalt einer einmaligen Pauschale bewilligt worden. Trotz missverständlicher Formulierungen in den Bewilligungsbescheiden habe die Bewilligung angesichts der noch unbekannten Entwicklung und Dauer der pandemiebedingten Beschränkungen der Wirtschaft von Anfang an noch klar erkennbar zumindest unter dem Vorbehalt gestanden, ob und in welchem Umfang die bewilligten Finanzmittel für den ausschließlichen Zuwendungszweck benötigt würden.
Jeder Empfänger einer Soforthilfezuwendung habe in Nordrhein-Westfalen zwar darauf vertrauen können, dass er keine Mittel zurückzahlen muss, die er während des Bewilligungszeitraums berechtigterweise "zur Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens beziehungsweise des Selbstständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie" oder "zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen, die seit dem 01.03.2020 in Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind", verwendet hatte. Objektiven Empfängern der Bewilligungsbescheide habe sich aber auch aufdrängen müssen, dass die Soforthilfe vollumfänglich nur zur Kompensation der unmittelbar durch die Corona-Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Engpässe genutzt werden durfte, entsprechende Mittelverwendungen nachzuweisen und bei Einzelfallprüfungen zu belegen sowie nicht zweckentsprechend benötigte Mittel nachträglich zu ermitteln und zurückzuzahlen waren. Den Bewilligungsbescheiden lasse sich hingegen nicht entnehmen, dass sie auch bezogen auf die Berechnungsgrundlagen für die Rückzahlung unter dem Vorbehalt einer noch zu entwickelnden Verwaltungspraxis stehen sollten.
Auch wenn in Nordrhein-Westfalen stets die Höchstfördersumme bewilligt worden war, fänden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Rückzahlung – abweichend vom Bundesprogramm – nur erfolgen musste, wenn dieser Betrag höher war als eine wie auch immer zu bestimmende Umsatzeinbuße. Insoweit trete der offensichtlich nicht gemeinte Wortlaut hinter dem klar erkennbaren Förderzweck zurück. Allerdings sei unklar geblieben, ob das Land die Rückzahlungspflicht ebenso wie der Bund nur davon abhängig machen wollte, dass die gewährten Mittel (vollständig) zum Ausgleich des eingetretenen Liquiditätsengpasses benötigt worden sind. Nahe liege, dass eine Rückzahlung auch solcher Mittel nicht erfolgen sollte, die "zur Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens beziehungsweise des Selbstständigen" benötigt worden sind. Denn die Überbrückung von Liquiditätsengpässen sei in den Bewilligungsbescheiden und der Erläuterung des Landes im Internet nur beispielhaft erwähnt worden. Soweit durch eine erkennbar irrtümlich verwendete und offensichtlich nicht wörtlich so gemeinte Formulierung des Landes über den Umfang der Rückzahlungspflicht Zweifel verblieben, müssten diese zulasten des Landes gehen.
Von einem Liquiditätsengpass in Gestalt vorübergehender Zahlungsschwierigkeiten hätten Zuwendungsempfänger ausgehen können, sobald sie bis zum Ablauf bestehender Zahlungsfristen neben den verbliebenen laufenden Überschüssen keine ausreichenden eigenen Einnahmen – auch nicht aus weiterhin möglichen und tatsächlich abgeschlossenen Kompensationsgeschäften – erzielen konnten, um Zahlungsverpflichtungen ohne Rückgriff auf Rücklagen im Rahmen des "Cashflow" auch ohne staatliche Fördermittel noch rechtzeitig ausgleichen zu können. Sofern das Existenzminimum des Selbstständigen nicht durch Sozialleistungen abgedeckt worden war, durften laut OVG bis zum 01.04.2020, 13.30 Uhr, bewilligte Mittel auch dann eingesetzt werden, wenn die Umsätze des geförderten Betriebs nicht einmal mehr ausreichten, um dieses Existenzminimum finanzieren zu können. Entgegenstehende Klarstellungen des Bundes seien bereits vor ihrer Veröffentlichung am 30.03.2020 für Nordrhein-Westfalen vom 29.03.2020 bis zum 1.4.2020, 13.30 Uhr, außer Kraft gesetzt worden. Für spätere Bewilligungen sei sowohl in den Kurzfakten des Bundes als auch in den Informationen des Landes bis zum 12.05.2020 übereinstimmend klargestellt worden, dass der Lebensunterhalt einschließlich der Bedarfe für Ernährung, Kleidung, Hausrat et cetera sowie der Kosten für Unterkunft und Heizung nicht durch die Soforthilfe, sondern durch Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch II abgesichert werden sollte.
Das OVG hat die Revision jeweils nicht zugelassen. Dagegen kann Nichtzulassungsbeschwerde erhoben werden, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Entscheidung vom 17.03.2023, 4 A 1986/22