08.03.2023
Vermögensteuer: Laut Rechtsgutachten verfassungsrechtlich gut begründbar
Eine Vermögensteuer ist mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar. Zu diesem Ergebnis kommt ein neues, von der Hans-Böckler-Stiftung gefördertes Rechtsgutachten. Angesichts der hohen Ungleichheit bei der Vermögensverteilung und erheblicher finanzieller Herausforderungen, denen die Bundesrepublik ausgesetzt sei, sei die Einführung einer solchen Steuer nicht nur gut begründbar, sondern trüge auch zur Verwirklichung grundlegender verfassungsrechtlicher Prinzipien bei, heißt es in der Untersuchung von Alexander Thiele, Professor für Staatstheorie und Öffentliches Recht an der Business & Law School der Hochschule für Management und Recht in Berlin.
In Deutschland sei der Anteil der Armen in der letzten Dekade deutlich gewachsen, so das Gutachten unter Hinweis auf den aktuelle Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung. Gleichzeitig seien die privaten Vermögen im Vergleich zu anderen EU- und OECD-Ländern mit ähnlicher Einkommenssituation besonders ungleich verteilt. Die untere Hälfte der Bevölkerung habe nach Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung keine nennenswerten Vermögen. Dagegen besäßen die reichsten zehn Prozent rund zwei Drittel des gesamten Privatvermögens.
Hinzu kämen erhebliche finanzielle Herausforderungen an den Staat. So müssten nicht nur die Milliardenkredite, die in den vergangenen Jahren zur Bewältigung der multiplen Krisen aufgenommen wurden, bedient werden. Zusätzlich bestehe riesiger Investitionsbedarf, um eine erfolgreiche sozial-ökologische Transformation zu ermöglichen.
Angesichts dieser Entwicklungen meine Thiele, eine Vermögensteuer sei nicht nur nicht verfassungswidrig. Im Gegenteil habe die Ungleichheit in Deutschland ein Ausmaß erreicht, das die Einführung einer Vermögensteuer auch verfassungsrechtlich eher nahelegt.
Zwar habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 1995 die damalige Vermögensteuer für verfassungswidrig erklärt. Allerdings habe sich dieser Beschluss keineswegs gegen eine Besteuerung von Vermögen an sich, sondern lediglich gegen die damalige konkrete Ausgestaltung gerichtet. Das Grundgesetz stehe einer Vermögensbesteuerung insofern nicht prinzipiell entgegen, betont Thiele, zumal sie dort sogar "ausdrücklich als eine prinzipiell zulässige Steuerart aufgelistet" werde.
Darüber hinaus würde die Vermögensteuer aus Sicht Thieles dazu beitragen, das Fundamentalprinzip gerechter Besteuerung, das Prinzip der Leistungsfähigkeit, besser zu verwirklichen: Gleich Leistungsfähige müssten danach gleich, unterschiedlich Leistungsfähige unterschiedlich besteuert werden. Es liege auf der Hand, dass eine Person, die beispielsweise monatlich 5.000 Euro verdient, zusätzlich aber ein Vermögen von einer Million Euro besitzt, leistungsfähiger sei als jemand, der "nur" 5.000 Euro im Monat verdient. Die Einkommensteuer allein bilde diese unterschiedlichen Leistungsfähigkeiten insofern nicht angemessen ab. Mit Blick auf das Prinzip der Leistungsfähigkeit sei es daher auch kein Widerspruch, wenn der Staat sowohl eine progressive Einkommenssteuer als auch eine Vermögenssteuer erhebt. Darin liege keine Doppelbesteuerung.
Auch das Sozialstaatsprinzip in Artikel 20 GG liefert nach Thieles Analyse verfassungsrechtlich jedenfalls dann Argumente für eine Besteuerung von Vermögen, wenn die Ungleichheit ein nicht mehr zu rechtfertigendes Ausmaß erreicht hat. Eine zu hohe soziale Ungleichheit sei in einer demokratischen Ordnung ein Problem. Wenn die Vermögen derart ungleich verteilt sind, "droht die soziale Ungleichheit aufgrund der damit einhergehenden kränkenden Wirkung das einigende Band der Gemeinschaft zu zerreißen, da deren Mitglieder nicht mehr in der Lage sind, sich als politisch gleich und folglich als Angehörige der gleichen politischen Gemeinschaft (noch) zu erkennen", schreibt der Rechtswissenschaftler. In diesem Fall sei der Gesetzgeber verfassungsrechtlich gehalten, Maßnahmen zu ergreifen, um die Ungleichheit auf ein begründungsfähiges Niveau zu bringen.
Der Gesetzgeber habe bei der Erhebung einer Vermögensteuer allerdings einen großen Spielraum, so Thiele. Eigentum sei zwar durch das GG besonders geschützt, allerdings nicht uneingeschränkt. Steuern stellten nach weit verbreiteter Ansicht keinen Eingriff in die Eigentumsfreiheit dar, schon gar keine Enteignung. Schließlich heiße es auch im GG: "Eigentum verpflichtet". Jeder solle, gemessen an seiner Leistungsfähigkeit, einen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten. Allenfalls die Frage, wie hoch dieser ausfallen darf, sei unter Experten umstritten. Steuern dürften indes keine "erdrosselnde Wirkung" haben.
Verfassungsrechtlich unproblematisch sei nach diesen Maßstäben die Besteuerung von Sollerträgen aus Vermögenswerten, analysiert Thiele. Besteuerungsgrundlage wären danach die aus dem Vermögen erzielbaren Erträge, zum Beispiel potenzielle Mieteinnahmen und Zinseinkünfte, nicht hingegen die Vermögenssubstanz. Aber auch eine darüber hinaus gehende Substanzbesteuerung sei nicht per se ausgeschlossen – zu rechtfertigen sei sie "in Zeiten erheblicher und nur schwer begründungsfähiger Vermögensungleichheit" – wenn durch die Ungleichheit also eine Gefährdung des demokratischen Versprechens der demokratischen Gleichheit drohe.
Bei der Ausgestaltung der Vermögensteuer seien jedoch weitergehende verfassungsrechtliche Vorgaben zu beachten, zeigt Thiele: So müssten neben den privaten Vermögen im Grundsatz auch Betriebsvermögen einbezogen werden. Allerdings müssten Betriebsvermögen nicht zwingend in der gleichen Höhe wie private Vermögen besteuert werden. Es sei möglich, Betriebsvermögen zu privilegieren, da diesem eine besondere Bedeutung für die Prosperität einer Gesellschaft zukomme, so der Rechtswissenschaftler.
Essenziell sei außerdem, dass Vermögensgegenstände so erfasst werden, dass sie annähernd dem Marktwert entsprechen. Werden bei der Erfassung unterschiedliche Maßstäbe angelegt, stünde dies im Konflikt mit dem Gleichheitsgrundsatz – genau hier habe das Problem der bis in die 1990er-Jahre erhobenen Vermögensteuer gelegen, über die das BVerfG zu entscheiden hatte.
Eine Schwierigkeit sei damals wie heute, dass bei Bargeld oder Aktien die Bewertung vergleichsweise einfach sei, dies aber beispielsweise bei Kunstgegenständen und anderen Sachgütern sowie bei Immobilien komplizierter werde. Hier sei der Staat auf die Ehrlichkeit der Steuerpflichtigen angewiesen. Thiele betont dabei allerdings, dass die unzutreffende Angabe relevanter Steuersachverhalte eine Straftat darstellt.
Zudem seien gewisse "Unschärfen" bei der Bewertung von Vermögensgegenständen verfassungsrechtlich zulässig: Abweichungen von bis zu 20 Prozent vom "tatsächlichen" Wert seien verfassungsrechtlich denkbar, so Thiele. Außerdem sei es im Steuerrecht nicht unüblich, mit Pauschalierungen zu arbeiten. Auch sei die Tatsache, dass eine Steuer nicht leicht zu erheben ist, kein sachgerechter Grund, sie nicht zu erheben, betont der Gutachter.
Abgesehen davon ließen sich die verfassungsrechtlichen Probleme entschärfen, wenn man lediglich eine Sollertragsteuer einführt, da sich zum einen Einkünfte einfacher ermitteln und besser bewerten ließen als Gesamtvermögen. Zum anderen bleibe dabei die Vermögenssubstanz dann prinzipiell unangetastet, sodass der damit bewirkte Eingriff in die Eigentumsfreiheit verfassungsrechtlich keine Probleme bereite.
Hans-Böckler-Stiftung, Pressemitteilung vom 07.03.2023