08.03.2023
Hinweis "Bitte keine Werbung einwerfen": Begründet Unterlassungsanspruch
Ein Unternehmen darf kein Werbematerial auf der Briefkastenanlage oder vor dem Hauseingang eines Mehrfamilienhauses ablegen, wenn sämtliche Briefkästen der Anlage waren mit dem Hinweis "Bitte keine Werbung einwerfen" gekennzeichnet sind. Dies hat das Amtsgericht (AG) München entschieden und im konkreten Fall einem werbenden Umzugsunternehmen für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro angedroht sowie ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten.
Der Kläger, der in München wohnt, hatte zuvor an der Briefkastenanlage zwei Werbeflyer des Umzugsunternehmens vorgefunden, die in eine Ritze zwischen einem Briefkasten und einem darunterliegenden Spalt der Briefkastenanlage geklemmt waren. Sämtliche Briefkästen der Anlage waren mit dem Hinweis "Bitte keine Werbung einwerfen" gekennzeichnet.
Nach Auffassung des Klägers hat die Beklagte die Werbeflyer in rücksichtsloser Art verteilen lassen. Die Bewohner des Hauses, die schon keine Werbung erhalten möchten, legten erst recht keinen Wert auf wild abgelegte oder befestigte Reklame. Hierdurch erhöhe sich der Lästigkeitsfaktor erheblich. Die Beklagte meinte demgegenüber, sie habe die angeblich störende Art einer Verteilung von Werbematerial nicht veranlasst und auch nicht zu vertreten. Die von ihr beauftragten Verteiler seien angewiesen, Werbung nur in Briefkästen einzulegen, die keinen Hinweis enthielten, dass der Nutzer keine Werbung haben möchte. Die Beklagte verweist außerdem darauf, dass die Briefkastenanlage der Wohnanlage für jeden Passanten zugänglich sei und daher auch unbekannte Dritte das Werbematerial dort abgelegt haben könnten.
Das AG München gab der Klage vollumfänglich statt. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Unterlassung aus §§ 823 Absatz 1, 863 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit § 1004 BGB analog zu. Der Kläger sei durch die Beklagte in seinem Besitz beziehungsweise Mitbesitz rechtswidrig gestört, es bestehe Wiederholungsgefahr und die Beklagte sei Störerin.
Eine Besitzstörung sei grundsätzlich anzunehmen durch das Einwerfen von Werbeflyern, wenn wie hier erkennbar zu verstehen gegeben wird, dass der Einwurf von Werbung nicht erwünscht ist. Dem Wohnungsbesitzer stehe das Recht aus § 862 BGB zu, sich gegen eine Beeinträchtigung seiner räumlich-gegenständlichen Sphäre durch das Aufdrängen von unerwünschtem Werbematerial zur Wehr zu setzen. Zwar sei im vorliegenden Fall der Werbeflyer nicht in den dem Kläger zugewiesenen Briefkasten gesteckt worden. Der Kläger sei jedoch jedenfalls in seinem Mitbesitz an der Briefkastenanlage und am Eingangsbereich des Mehrfamilienhauses gestört worden. Die Beklagte sei mittelbare Störerin, da sie Flyer der gegenständlichen Art unstreitig auch im streitgegenständlichen Zeitraum in München habe verteilen lassen.
Der Einwand der Klägerin, ihre Austräger hätten die Flyer im konkreten Fall nicht verteilt, greift laut AG München nicht durch. Nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises könne davon ausgegangen werden, dass Handzettel eines Unternehmens auch von Werbeverteilern, die für das Unternehmen tätig sind, im Zuge von Werbeaktionen eingeworfen wurden. Hierbei handele es sich um einen typischen Geschehensablauf. Die pauschale Behauptung, Dritte könnten Handzettel verteilt haben, stehe der Bejahung des Anscheinsbeweises nicht entgegen. Der Beklagten sei es auch im Rahmen der Beweisaufnahme nicht gelungen, Tatsachen zu beweisen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden (atypischen) Ablaufs ergibt.
Auch der Einwand der Beklagten, sie habe die von ihr beauftragten Austräger angewiesen, Werbung nur auf erlaubte Weise zu verteilen, verfange nicht. Die Beklagte sei gehalten, die von ihr beauftragten Verteiler eindringlich auf die Notwendigkeit einer entsprechenden Organisation und Kontrolle der Werbeaktion hinzuweisen, sich über den Einsatz geeigneter Schutzvorkehrungen zu vergewissern, Beanstandungen nachzugehen und schließlich gegebenenfalls dem Anliegen durch Androhung wirtschaftlicher und rechtlicher Sanktionen einen stärkeren Nachdruck zu verleihen. Zu denken sei hier etwa an eine Vertragsstrafenvereinbarung. Zur Einleitung derartiger Maßnahmen habe die Beklagte jedenfalls nach dem vom Kläger gerügten Verstoß jedoch nichts vorgetragen.
Amtsgericht München, Urteil vom 18.03.2022, 142 C 12408/21, rechtskräftig