08.03.2023
Unzulässiges aufgesetztes Gehwegparken: Begründet Anwohner-Anspruch auf fehlerfreie behördliche Ermessensentscheidung
Anwohner einer Straße, auf der Autos unzulässigerweise teils auf dem Gehweg parken, haben einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Behörden-Entscheidung, wenn der Gehweg durch das aufgesetzte Parken in seiner Funktion beeinträchtigt wird. Eine solche Funktionsbeeinträchtigung ist gegeben, wenn auf den Gehwegen nicht mehr genügend Platz für einen ungehinderten Verkehr von Fußgängern gegebenenfalls mit Kinderwagen oder Rollstuhlfahrern auch im Begegnungsverkehr verbleibt. Dies hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Bremen entschieden.
Die Kläger wohnen in Straßen, in denen seit Jahren auf beiden Straßenseiten aufgesetzt auf den Gehwegen geparkt wird, obwohl dies nicht durch Verkehrszeichen erlaubt wurde. Sie beantragten bei der Straßenverkehrsbehörde erfolglos ein Einschreiten gegen diesen verkehrsordnungswidrigen Zustand. Mit ihrer Klage machten sie geltend, die Straßenverkehrsbehörde müsse geeignete Maßnahmen gegen das aufgesetzte Gehwegparken ergreifen und diese anschließend evaluieren.
Dem ist das Verwaltungsgericht (VG) Bremen im Wesentlichen gefolgt. Es hat festgestellt, dass die Kläger als Anwohner von Straßen, in denen nicht nur vereinzelt, sondern dauerhaft verkehrsordnungswidrig auf den Gehwegen geparkt wird, berechtigt seien, von der Straßenverkehrsbehörde ein Einschreiten zu verlangen. Das OVG hat diese Entscheidung im Kern bestätigt, der Straßenverkehrsbehörde aber ein größeres Ermessen bei der Umsetzung ihrer Maßnahmen eingeräumt.
Das aufgesetzte Parken verstoße gegen das aus § 12 Absätze 4 und 4a Straßenverkehrsordnung (StVO) abzuleitende Verbot, Gehwege ohne spezielle Erlaubnis zum Abstellen von Kraftfahrzeugen zu nutzen. Dieses allgemeine Verbot des Gehwegparkens werde in den Wohnstraßen der Kläger offensichtlich nicht beachtet. Hiergegen könne die Straßenverkehrsbehörde unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes straßenverkehrsrechtliche Anordnungen treffen. Grundsätzlich lägen auch die Voraussetzungen für die Durchführung von Abschleppmaßnahmen vor, so das OVG.
Die Parkvorschriften in § 12 Absätze 4 und 4a StVO dienten in erster Linie der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs und damit grundsätzlich dem Interesse der Allgemeinheit. Das OVG geht jedoch davon aus, dass dem Verbot des Gehwegparkens auch eine individualschützende Funktion zukommt, da es erkennbar den Interessen derjenigen dient, die den Gehweg zulässigerweise benutzen.
Dies bedeute jedoch nicht, dass dieser Individualschutz in jedem Fall, das heißt unabhängig vom Grad der Beeinträchtigung, gewährt werden müsse, so das OVG weiter. Vielmehr bestehe ein solcher Schutz nur, wenn die Belange dieser Nutzer in einer qualifizierten und individualisierten Weise betroffen sind. Dies ist nach Ansicht des OVG dann der Fall, wenn eine für die Betroffenen unzumutbare Funktionsbeeinträchtigung des Gehweges eintritt.
Das OVG stellt fest, dass die Funktion eines Gehwegs nicht erst dann beeinträchtigt ist, wenn Fußgänger nicht mehr oder nur mit Mühe an parkenden Fahrzeugen vorbeikommen oder ein Fußgängergegenverkehr erschwert wird. Es genüge nicht, wenn nur ein schmaler Engpass verbleibt, den Rollstuhlfahrer oder Personen mit Kinderwagen "mit Mühe und Not" passieren können. Vielmehr müsse auch ein Begegnungsverkehr unter ihnen und mit Fußgängern möglich bleiben.
Hiervon ausgehend hat das Gericht für die Kläger eine unzumutbare Funktionsbeeinträchtigung der Gehwege bejaht, weil in ihren Straßen durch das aufgesetzte Parken Restgehwegbreiten von weniger als 1,50 Metern auf annähernd der gesamten Länge der vorhandenen Gehwege verbleiben. Ein Begegnungsverkehr sei hier nicht mehr möglich.
Die Kläger hätten folglich einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein behördliches Einschreiten. Eine Pflicht der Straßenverkehrsbehörde, unmittelbar gegen die verkehrsordnungswidrig parkenden Fahrzeuge einzuschreiten, besteht laut OVG jedoch nicht. Dies begründet es damit, dass die betroffenen Gehwege in den Straßen der Kläger noch immer – wenn auch eingeschränkt – nutzbar und Rechtsgüter von überragender Bedeutung, wie etwa die Gesundheit, nicht konkret gefährdet sind. So müssten Gehwegnutzer in den betroffenen Straßen nicht auf die Straße ausweichen.
Der Ermessenspielraum der Behörde bleibe auch in Anbetracht der Dauer und Häufigkeit der Verstöße bestehen. Diesen Punkt habe die Vorinstanz noch anders gesehen. Die Behörde sei dagegen gehalten, bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen, dass es sich beim Problem des unerlaubten Gehwegparkens um eine Praxis handelt, die in den innerstädtischen Lagen weit verbreitet und über Jahrzehnte weitestgehend geduldet worden ist.
Vor diesem Hintergrund sei es sachgerecht, wenn die Behörde innerhalb eines Konzepts für ein stadtweites Vorgehen zunächst den Problemdruck in den am stärksten betroffenen Quartieren ermittelt. Soweit dabei geplant sei, die Straßen mit besonders geringen verbleibenden Restgehwegbreiten priorisiert zu behandeln, sei dagegen nichts einzuwenden. Der Verweis auf ein Konzept werde aber die Ermessensentscheidung nur solange tragen, wie dieses auch tatsächlich und nachvollziehbar umgesetzt wird, so das OVG. Es hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zugelassen.
Oberverwaltungsgericht Bremen, Urteil vom 13.12.2022, 1 LC 64/22, nicht rechtskräftig