16.10.2024
"Gruppe Reuß": RTL hätte Foto eines Angeklagten nicht zeigen dürfen
Ein Angeklagter der "Gruppe Reuß" hat sich erfolgreich gegen die Fernseh-Ausstrahlung seines Porträtfotos auf RTL gewandt. Das Landgericht (LG) Karlsruhe verbot die Veröffentlichung des unverpixelten Fotos für die Zukunft.
Der Kläger ist einer der Angeklagten im Strafprozess um die "Gruppe Reuß" vor dem OLG Stuttgart. Er befindet sich seit Dezember 2023 in Untersuchungshaft. Die Beklagte betreibt den Fernsehsender RTL. Sie zeigte in ihrer bundesweit ausgestrahlten Nachrichtensendung "Das Nachtjournal" vom 30.04.2024 ein Foto des Klägers im Rahmen ihrer Berichterstattung über den Prozessauftakt vor dem OLG Stuttgart am Vortag. Das Foto, in dessen Veröffentlichung der Kläger nicht eingewilligt hatte, wurde von der Polizei gefertigt, es stammt aus der Ermittlungsakte des Generalbundesanwalts.
Gegen den hiergegen erwirkten Eilbeschluss des LG vom 05.06.2024 ist die Beklagte vorgegangen. Das Gericht hat nunmehr nach mündlicher Verhandlung erneut in der Sache entschieden.
Danach kann der Kläger von RTL die Unterlassung der Ausstrahlung seines Fotos verlangen. Die Veröffentlichung des Bildes einer Person begründe grundsätzlich eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Eine entsprechende Rechtfertigung liege hier nicht vor. Das folgert das LG aus einer Abwägung zwischen der Pressefreiheit einerseits, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung andererseits unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu § 23 Kunsturhebergesetz.
Medien dürften zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden. Verfehlungen – auch konkreter Personen – aufzuzeigen, gehöre zu ihren legitimen Aufgaben. Straftaten gehörten zum Zeitgeschehen, deren Vermittlung Aufgabe der Medien sei. Die Beeinträchtigung von Rechtsgütern der von der Tat Betroffenen und die Verletzung der Rechtsordnung, die Sympathie mit Opfern und ihren Angehörigen, die Furcht vor Wiederholungen und das Bestreben, dem vorzubeugen, begründeten ein anzuerkennendes Interesse an näherer Information über Tat und Täter. Dieses sei umso stärker, je mehr sich die Straftat durch ihre besondere Begehungsweise oder die Schwere ihrer Folgen von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt. Bei Straftaten bestehe häufig ein legitimes Interesse insbesondere auch an der Bildberichterstattung über einen Angeklagten, weil sie oft durch die Persönlichkeit des Täters geprägt sind und Bilder prägnant und unmittelbar über die Person des Täters informieren können.
Eine den Angeklagten identifizierende Berichterstattung beeinträchtige andererseits zwangsläufig dessen Recht auf Schutz seiner Persönlichkeit sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, weil sie sein mögliches Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten negativ qualifiziert. Die bis zur rechtskräftigen Verurteilung zugunsten des Angeklagten sprechende Unschuldsvermutung gebiete eine entsprechende Zurückhaltung, mindestens aber eine ausgewogene Berichterstattung. Außerdem sei eine mögliche Prangerwirkung zu berücksichtigen, die durch eine identifizierende Medienberichterstattung bewirkt werden kann. Dabei ist laut LG zu beachten, dass auch eine um Sachlichkeit und Objektivität bemühte Fernsehberichterstattung in der Regel einen weitaus stärkeren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellt als eine Wort- und Schriftberichterstattung in Hörfunk und Presse. Die besondere Schwere einer angeklagten Tat und ihre als besonders verwerflich empfundene Begehungsweise könnten im Einzelfall nicht nur ein gesteigertes Informationsinteresse der Öffentlichkeit, sondern auch die Gefahr begründen, dass der Angeklagte eine Stigmatisierung erfährt, die ein Freispruch möglicherweise nicht mehr zu beseitigen vermag. Es bestehe die Gefahr, dass die Öffentlichkeit die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens oder Durchführung eines Strafverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und deshalb im Fall einer späteren Einstellung des Verfahrens oder eines Freispruchs vom Schuldvorwurf "etwas hängenbleibt". Bis zu einem erstinstanzlichen Schuldspruch werde daher oftmals das Gewicht des Persönlichkeitsrechts gegenüber der Freiheit der Berichterstattung überwiegen.
Letzteres war nach Auffassung der Pressekammer auch im hier entschiedenen Einzelfall nach Abwägung aller Belange der Fall.
Landgericht Karlsruhe, Urteil vom 09.10.2024, 22 O 6/24