21.08.2024
Ehemalige Sekretärin im KZ: Verurteilung rechtskräftig
Der in Leipzig ansässige 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat die Revision einer 99 Jahre alten ehemaligen Zivilangestellten der SS verworfen, die sich gegen ihre Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen und versuchtem Mord in fünf Fällen zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe von zwei Jahren gewandt hatte. Damit ist das Urteil des Landgerichts (LG) Itzehoe rechtskräftig.
Nach den Urteilsfeststellungen war die im Tatzeitraum 18 und 19 Jahre alte Beschwerdeführerin vom 01.06.1943 bis zum 01.04.1945 als einzige Stenotypistin in der Kommandantur des von der SS betriebenen Konzentrationslagers Stutthof beschäftigt. Das LG ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Angeklagte durch die Erledigung von Schreibarbeit in der Kommandantur die Haupttäter willentlich dabei unterstützt habe, Gefangene durch Vergasungen, durch die Schaffung lebensfeindlicher Bedingungen im Lager, durch Transporte in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und durch Verschickung auf so genannte Todesmärsche grausam zu töten oder dies versucht zu haben. Ihre Arbeit sei für die Organisation des Lagers und die Durchführung der grausamen, systematischen Tötungshandlungen notwendig gewesen.
Der BGH hat nach mehrstündiger Hauptverhandlung am 31.07.2024 jetzt die mit der Sachrüge geführte Revision der Angeklagten verworfen. Dabei hat er sich auf die neuere Rechtsprechung des BGH zu Beihilfehandlungen im Zusammenhang mit staatlich organisierten Massenverbrechen (BGH, Beschluss vom 20.09.2016, 3 StR 49/16 zu einem Wachmann im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau) gestützt und diese fortgeführt. In solchen Konstellationen seien einerseits an jeder einzelnen begangenen Mordtat eine Vielzahl von Personen in politisch, verwaltungstechnisch oder militärisch-hierarchisch verantwortlicher Position ohne eigenhändige Ausführung einer Tötungshandlung beteiligt. Andererseits wirkten aber auch eine Mehrzahl von Personen in Befolgung hoheitlicher Anordnungen und im Rahmen einer hierarchischen Befehlskette unmittelbar an der Durchführung der einzelnen Tötungen mit. Deshalb sei eingehend zu prüfen, ob die dem Gehilfen vorgeworfenen Handlungen die Tathandlung zumindest eines der an dem Mord Mitwirkenden im Sinne des § 27 Absatz 1 Strafgesetzbuch gefördert haben.
Nach der rechtsfehlerfreien Würdigung des LG sei dies bei der Angeklagten der Fall gewesen. Sie habe durch ihre Schreibarbeit dem Lagerkommandanten und dessen Adjutanten geholfen, mit denen sie vertrauensvoll zusammenarbeitete, nicht nur physisch. Sie habe diese durch ihre Einordnung in den Lagerbetrieb als zuverlässige und gehorsame Untergebene auch psychisch bei der Begehung der 10.505 vollendeten und fünf versuchten grausamen Morde unterstützt, die das LG ihr zugerechnet hat. Ihre Tätigkeit als einzige Stenotypistin sei für den durchweg bürokratisch organisierten Lagerbetrieb von zentraler Bedeutung gewesen. Insoweit kam es aus Sicht des BGH nicht entscheidend darauf an, dass die Strafkammer nicht hat ausschließen können, dass einzelne Schreiben auch von anderen erstellt worden sein könnten.
Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Straffreiheit von berufstypisch neutralen Handlungen mit "Alltagscharakter" stünden der Verurteilung der Angeklagten schon deshalb nicht entgegen, weil sie von dem verbrecherischen Handeln der von ihr unterstützten Haupttäter positive Kenntnis hatte und sich durch ihre dennoch erbrachten Dienste gleichsam mit ihnen solidarisierte. Dadurch habe ihr Tun jeglichen "Alltagscharakter" verloren.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.08.2024, 5 StR 326/23