08.08.2024
Merkantiler Minderwert eines Unfallfahrzeugs: Bei Schätzung ausgehend vom Bruttoverkaufspreis "Umsatzsteueranteil" abzuziehen
Der merkantile Minderwert (Wertverlust trotz Instandsetzung) eines erheblich unfallbeschädigten Fahrzeugs ist in jedem Fall ausgehend von Netto- und nicht von Bruttoverkaufspreisen zu schätzen. Wurde er ausgehend vom Bruttoverkaufspreis geschätzt, ist ein dem "Umsatzsteueranteil" entsprechender Betrag vom Minderwert abzuziehen. Dies stellt der Bundesgerichtshof (BGH) klar.
Ein (geleastes) Fahrzeug wurde bei einem Verkehrsunfall erheblich beschädigt. Die volle Haftung des beklagten Haftpflichtversicherers stand außer Streit. Die Klägerin ließ das Fahrzeug reparieren und machte einen merkantilen Minderwert von 1.250 Euro geltend. Die Beklagte bezahlte nur 700 Euro. Die Klägerin verlangt Zahlung des restlichen Betrags an die Leasinggesellschaft. Zwischen den Parteien war streitig, ob vom merkantilen Minderwert ein "Umsatzsteueranteil" abzuziehen ist.
Der BGH hat diese Frage für den Fall, dass der merkantile Minderwert ausgehend vom Bruttoverkaufspreis geschätzt wurde, bejaht und die Sache auf die Revision der Beklagten an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Beim merkantilen Minderwert handele es sich um eine Minderung des Verkaufswerts, die trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines bei einem Unfall erheblich beschädigten Kfz allein deshalb verbleibe, weil Unfallfahrzeuge auf dem Gebrauchtwagenmarkt einen geringeren Preis als unfallfreie erzielen. Der Ersatz des merkantilen Minderwerts als solcher unterliege nicht der Umsatzsteuer nach § 1 Absatz 1 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG), da es sich bei dem zu zahlenden Schadensersatz nicht um eine Leistung gegen Entgelt handelt.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sei aber vom merkantilen Minderwert für den Fall, dass er ausgehend vom Bruttoverkaufspreis geschätzt wurde, ein dem "Umsatzsteueranteil" entsprechender Betrag abzuziehen. Ob das Berufungsgericht im Streitfall den Minderwert ausgehend von Brutto- oder Nettoverkaufspreisen geschätzt hat, stand laut BGH nicht fest.
Zur Bemessung des Minderwerts werde geschätzt, um wieviel geringer der erzielbare Verkaufspreis bei einem gedachten Verkauf des beschädigten Fahrzeugs nach der Reparatur im Vergleich zum erzielbaren Verkaufspreis ohne den Unfall wäre. Diese Wertdifferenz sei unabhängig davon zu ersetzen, ob der Geschädigte das Fahrzeug nach der Reparatur verkauft oder behält. Bei der Schätzung des Minderwerts sei aus Rechtsgründen auf die jeweiligen Nettoverkaufspreise abzustellen. Denn wenn es sich bei dem der Schätzung des merkantilen Minderwerts zugrunde zu legenden hypothetischen Verkauf um eine der Umsatzsteuer unterliegende Leistung eines Unternehmers handelt, würde der Geschädigte zwar zusätzlich zum Nettoverkaufspreis die darauf entfallende Umsatzsteuer erhalten, müsste sie aber an das Finanzamt abführen. Sie wäre bei ihm nur ein durchlaufender Posten. Unterliegt der gedachte Verkauf hingegen nicht der Umsatzsteuer (beim Verkauf "von privat"), dürfte dem Käufer schon gar keine Umsatzsteuer in Rechnung gestellt werden.
Wurde der merkantile Minderwert ausgehend von Bruttoverkaufspreisen geschätzt, sei er in der Weise nach unten zu korrigieren, dass von ihm ein dem "Umsatzsteueranteil" entsprechender Betrag abgezogen wird. Andernfalls käme es zu einer Bereicherung des Geschädigten, so der BGH.
Eine andere – nicht rechtliche, sondern tatsächliche – Frage ist es nach Angaben des BGH, welche Preise eine Privatperson bei einem Verkauf erzielen würde, insbesondere, ob diese Preise, obwohl es Nettopreise sind, betragsmäßig an die von Unternehmern erzielbaren Bruttopreise heranreichen würden.
Der BGH hat am 16.07.2024 in drei weiteren Verfahren (VI ZR 205/23, VI ZR 239/23 und VI ZR 243/23) in dieser Frage ebenso entschieden.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.07.2024, VI ZR 188/22