06.08.2024
Syrische Staatsfolter: Lebenslang für Geheimdienstler bestätigt
Ein ehemaliger leitender Offizier des syrischen Geheimdiensts muss lebenslang hinter Gitter. Das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz hatte ihn wegen Beteiligung an schweren Gewalt- und Sexualhandlungen in einem von ihm geleiteten Gefängnis in Damaskus des Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig gesprochen. Nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) das auf lebenslang lautende Urteil jetzt bestätigt hat, ist es rechtskräftig.
Nach den Feststellungen des OLG versuchten die syrischen Sicherheitsbehörden spätestens seit Ende April 2011 aufgrund zentraler Anordnung der Regierung, die im Rahmen des Arabischen Frühlings gegen das Regime des Staatspräsidenten Bashar al-Assad entstandene Protestbewegung gewaltsam im Keim zu ersticken. Landesweit wurden Demonstrationen aufgelöst. Sicherheitskräfte verhafteten tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle und Regimekritiker zu Tausenden, folterten oder töteten sie sogar.
In dem dem Angeklagten unterstellten Gefängnis wurden brutale Foltermethoden angewandt. Nach Ausbruch des Konflikts gab es nahezu keine Vernehmung, bei der nicht gefoltert wurde. Die Zufügung großer Schmerzen und Leiden durch Vernehmende oder bei den Verhören anwesende Gefängniswärter war strukturell in den Abläufen vorgesehen. Die Haftbedingungen in dem völlig überbelegten Gefängnis waren desolat. Im Tatzeitraum von Ende April 2011 bis Anfang September 2012 verstarben von den Gefangenen mindestens 27 Menschen, darunter ein Kind.
Der Angeklagte war als Leiter des Gefängnisses für die Behandlung der Gefangenen und die Durchführung der Vernehmungen zuständig. Er trug maßgeblich dazu bei, die Folterpraxis aufrechtzuerhalten. Er war faktisch imstande, über das weitere Schicksal der meisten Gefangenen verantwortlich zu entscheiden.
Folter und Gewaltanwendung bis hin zu sexuellen Übergriffen waren vom Angeklagten als Maßnahmen zur Aussageerpressung und Einschüchterung gewollt. Todesfälle nahm er als zwangsläufige Folge der Misshandlungen und der Haftbedingungen in Kauf. Er identifizierte sich mit dem syrischen Staat, kannte das konzertierte Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen tatsächliche wie mutmaßliche Regimegegner und betrachtete seine eigene Tätigkeit als dessen Bestandteil. Der Erhalt des Regimes war ihm auch aus persönlichen Gründen wichtig, weil sein Status und sein Einkommen daran geknüpft waren.
Das OLG hat diese Feststellungen dahin beurteilt, dass das Vorgehen des syrischen Regimes ab Ende April 2011 sowohl die Voraussetzungen eines ausgedehnten als auch die eines systematischen Angriffs gegen die eigene Zivilbevölkerung nach § 7 Absatz 1 Völkerstrafgesetzbuch – der Strafvorschrift über Verbrechen gegen die Menschlichkeit – erfülle. Im Rahmen dieses Angriffs seien zahlreiche in dem Gefängnis Internierte im Sinne der Einzeltatbestände Nummern 1, 5, 6 und 9 dieser Norm getötet, gefoltert, sexuell genötigt und vergewaltigt sowie in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt worden. Daran habe sich der Angeklagte als Mittäter beteiligt.
Die Revision des Angeklagten hatte nur insoweit Erfolg, als der BGH den Schuldspruch im Hinblick auf die vom OLG mitausgeurteilten Sexualdelikte des Strafgesetzbuchs geringfügig änderte. Auf den Strafausspruch habe sich dies allerdings nicht ausgewirkt, so der BGH. Im Übrigen habe die Urteilsurkunde keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen lassen. Das OLG habe zutreffend angenommen, dass dem Angeklagten nicht deshalb eine völkergewohnheitsrechtliche funktionelle Immunität zukommt, weil er seine Tatbeiträge als hoheitlich handelnder Staatsbediensteter erbrachte.
Auch die Verfahrensrügen sind erfolglos geblieben. Zu einer dieser Beanstandungen hat der BGH entschieden, dass es dem OLG nach § 256 Absatz 1 Nr. 1 Buchst. a Strafprozessordnung gestattet war, Berichte der unabhängigen Untersuchungskommission des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen als Zeugnisse einer öffentlichen Behörde zu verlesen und infolgedessen als Urkundenbeweis zu verwerten.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.03.2024, 3 StR 454/22