09.07.2024
Niqab am Steuer: Kein Anspruch auf Ausnahmegenehmigung
Eine muslimische Glaubensangehörige, die aus religiösen Gründen auch beim Führen eines Kraftfahrzeugs ihr Gesicht (mit Ausnahme eines Sehschlitzes für die Augenpartie) mit einem Gesichtsschleier in Form eines Niqab bedecken möchte, hat keinen Anspruch auf Befreiung vom Verhüllungsverbot am Steuer. Die Bezirksregierung Düsseldorf muss aber über ihren Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung erneut entscheiden. Das hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen entschieden.
Die 2017 in Kraft getretene Regelung der Straßenverkehrsordnung, nach der derjenige, der ein Kraftfahrzeug führt, sein Gesicht nicht so verhüllen oder verdecken darf, dass er nicht mehr erkennbar ist, sei verfassungsgemäß. Das Verhüllungs- und Verdeckungsverbot verfolge den Zweck, die Erkennbarkeit und damit die Feststellbarkeit der Identität von Kraftfahrzeugführern bei automatisierten Verkehrskontrollen zu sichern, um diese bei Verkehrsverstößen heranziehen zu können. Außerdem schütze es die Rundumsicht des Kraftfahrzeugführers. Mit dieser Zielrichtung diene es dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter (Leben, Gesundheit, Eigentum) anderer Verkehrsteilnehmer. Ein allgemeiner Vorrang der Religionsfreiheit vor diesen Rechtsgütern bestehe nicht. Individuellen Belangen könne mit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung Rechnung getragen werden.
Auf eine solche Ausnahmegenehmigung habe die Klägerin aber keinen unmittelbaren Anspruch. Die Entscheidung stehe im Ermessen der Behörde. Dieses Ermessen habe die Bezirksregierung Düsseldorf bei der Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung bislang nicht fehlerfrei ausgeübt. Deshalb müsse sie über den Antrag nochmals entscheiden, so das OVG.
Bei ihrer Ablehnungsentscheidung habe die Behörde die Religionsfreiheit nicht hinreichend mit den für das Verbot sprechenden Belangen abgewogen. Zu Unrecht habe sie etwa darauf abgestellt, dass das Verhüllungs- und Verdeckungsverbot auch die nonverbale Kommunikation im Straßenverkehr sichert. Diese sei, soweit sie im Straßenverkehr überhaupt erforderlich ist, durch den Niqab nicht beeinträchtigt. Die Annahme der Behörde, dass ein Niqab die Rundumsicht beeinträchtigt, treffe in dieser Allgemeinheit nicht zu. Davon habe sich das OVG in der mündlichen Verhandlung, an der die Klägerin persönlich teilgenommen habe, überzeugen konnte. Zudem habe die Behörde alternative Möglichkeiten, um die Ziele des Verbots jedenfalls annähernd zu erreichen, wie etwa die Sicherstellung der Identifizierbarkeit der Klägerin durch ein Fahrtenbuch, bislang nicht hinreichend erwogen.
Das OVG hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen kann Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht eingelegt werden.
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 05.07.20204, 8 A 3194/21, nicht rechtskräftig