19.06.2024
Kindergeldfestsetzung: Bei Festsetzung bekannte Umstände dürfen später nicht für Aufhebung herangezogen werden
Mit der Frage, ob die Familienkasse die Begründung für die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung durch einen Umstand austauschen darf, der ihr bei der ursprünglichen Festsetzung bereits bekannt war, hat sich das Finanzgericht (FG) Münster beschäftigt. Es ging unter anderem um den Wohnort des Kindes.
Das FG Münster stellt klar: Im Streitfall sei der für die Anwendung des § 64 Absatz 2 Einkommensteuergesetz (EStG – mehrere Anspruchsberechtigte) relevante Umstand, wo der Sohn der Klägerin lebte, eine Tatsache im Sinne des § 173 Abgabenordnung. Diese Tatsache sei jedoch nicht nachträglich bekannt geworden, da dieser Umstand der Familienkasse bereits vor Erlass des Festsetzungsbescheides bekannt gewesen sei.
Aufgrund der Mitteilung des Jobcenters habe Familienkasse gewusst, dass der Sohn nicht mehr im Haushalt der klagenden Mutter, sondern im Haushalt seiner Schwester, das heißt der Tochter der Mutter, lebte und dort im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft SGB-Leistungen bezog. Auch habe die Mutter in ihrem Kindergeldantrag angegeben, dass der Sohn nicht in ihrem, sondern in dem Haushalt ihrer Tochter lebe.
Die ebenfalls für die Anwendung des § 64 Absatz 2 EStG relevante Tatsache, dass weder die Mutter noch der Kindesvater regelmäßigen Unterhalt an den Sohn zahlte, sei der Familienkasse zwar erst im Einspruchs- beziehungsweise Klageverfahren und damit nachträglich bekannt geworden. Jedoch, so das FG Münster, stehe einer Änderungsbefugnis nach den Grundsätzen von Treu und Glauben die Verletzung der Sachverhaltsaufklärungspflicht der Familienkasse entgegen.
Für den Fall der Aufhebung oder Änderung zuungunsten des Steuerpflichtigen beziehungsweise Kindergeldberechtigten normiere § 173 Absatz 1 Nr. 1 AO zwar nicht ausdrücklich eine Regelung zur Verantwortlichkeit des nachträglichen Bekanntwerdens, wie dies bei einer Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen gemäß § 173 Absatz 1 Nr. 2 AO der Fall ist. Jedoch gilt laut FG der allgemeine Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben, nachdem eine Änderung zuungunsten des Steuerpflichtigen ausgeschlossen ist, wenn die Gesamtwürdigung aller hierfür maßgeblichen Umstände ergibt, dass die in Frage stehenden Tatsachen und Beweismittel der zuständigen Finanzbehörde bei gehöriger Erfüllung ihrer Sachaufklärungspflicht nicht verborgen geblieben wären, wenn also zum Beispiel vorhandene Ermittlungsmöglichkeiten nicht genutzt wurden und die entsprechende Pflichtverletzung unter den gegebenen Umständen als alleinige Ursache der Korrekturbedürftigkeit zu werten ist. Im Fall einer Mitwirkungspflichtverletzung des Steuerpflichtigen sei eine Abwägung der jeweiligen Pflichtverletzungen vorzunehmen.
Im Streitfall sei der Familienkasse vor Erlass des Festsetzungsbescheides bekannt gewesen, dass der Sohn der Klägerin nicht in deren Haushalt lebte. Bei dieser Sachlage hätte hinsichtlich der vorrangigen Kindergeldberechtigung zwingend eine weitere Sachverhaltsaufklärung bezüglich etwaiger Unterhaltszahlungen erfolgen müssen, so das Gericht.
Der Mutter sei insoweit kein Verstoß gegen ihre Mitwirkungspflicht vorzuwerfen. Sie habe bei der Antragstellung den Fragebogen vollständig ausgefüllt. Sie habe angegeben, die Adresse des Kindesvaters nicht zu kennen. Demzufolge habe sie auch nicht die am Ende des Vordrucks geforderte Unterschrift des Kindesvaters beibringen können. Nach eigenen Unterhaltszahlungen oder solchen des Kindesvaters werde in dem Antragsvordruck nicht gefragt. Der Mutter sei nicht zuzumuten, ohne Aufforderung Auskünfte zu den Unterhaltsleistungen zu machen. Denn die Notwendigkeit dieser Angaben setze eine vertiefte Kenntnis der Regelung des § 64 Absatz 2 EStG sowie eine rechtliche Subsumtion des Begriffs der Unterhaltszahlungen voraus, gibt das FG zu bedenken.
Soweit die Familienkasse anführe, dass sie aufgrund des Akteninhalts bei der Kindergeldfestsetzung davon ausgegangen sei, dass der Sohn noch in den Haushalt seiner Mutter aufgenommen sei, weil er lediglich vorübergehend zum Zwecke der Ausbildung räumlich von ihr getrennt sei, treffe dies nicht zu. Die Familienkasse sei ausweislich des Vermerks in der Kassenanordnung "nicht im Haushalt der Berechtigten" davon ausgegangen, dass keine Haushaltsaufnahme bei der Mutter mehr vorlag.
Außerdem handele es sich bei der von der Familienkasse vorgetragenen Annahme, der Sohn der Klägerin sei allein aus dem Grund noch dem Haushalt der Mutter zuzuordnen, weil er nur zur Ausbildung und damit nur vorübergehend von deren Haushalt räumlich getrennt sei, um eine Schlussfolgerung und keine Tatsache.
Finanzgericht Münster, Urteil vom 24.05.2024, 1 K 2995/22 Kg,AO