28.05.2024
Berlin: Unanwendbarkeit der steuerlichen Liegenschaftszinssätze
Das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg hat sich in drei Urteilen mit den Liegenschaftszinssätzen befasst, die bei der Bewertung von Grundstücken im typisierten Ertragswertverfahren für die Zwecke der Erbschaft- und Schenkung- sowie Grunderwerbsteuer anzuwenden sind. Es hat entschieden, dass nicht die vom Gutachterausschuss für Grundstückswerte in Berlin veröffentlichten steuerlichen Liegenschaftszinssätze, sondern die für den Steuerpflichtigen regelmäßig günstigeren allgemeinen Liegenschaftszinssätze des Gutachterausschusses anzuwenden sind.
Der Gutachterausschuss veröffentlicht seinem gesetzlichen Auftrag entsprechend jährlich allgemeine Liegenschaftszinssätze für Mietwohn- und Mietwohngeschäftshäuser in Berlin mit einem gewerblichen Mietanteil bis 70 Prozent und mindestens vier Mieteinheiten. Die Zinssätze dienen primär außersteuerlichen Zwecken, etwa der Bemessung von Enteignungsentschädigungen. Bei der Berechnung dieser allgemeinen Liegenschaftszinssätze anhand der Daten aus der Kaufpreissammlung hat der Gutachterausschuss auf Grundlage von § 6 Absatz 6 der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) ein Restnutzungsdauermodell zugrunde gelegt, das für Gebäude der Baujahre vor 1949 die Restnutzungsdauer in drei Grundstufen in Abhängigkeit vom Bauzustand mit Abschlägen bei schlechter Ausstattung und für Gebäude der Baujahre ab 1949 eine Restnutzungsdauer in Fünf-Jahres-Schritten je nach Bauzustand und Baualter vorsieht.
Bei der Bewertung bestimmter Grundstücksarten (unter anderem von Mietwohngrundstücken) für Erbschaft- und Schenkungsteuerzwecke sehen die §§ 181 Absatz 1 Nr. 2, Absatz 3, 182 Absatz 1, Absatz 3 Nr. 1, 184 bis 188 Bewertungsgesetz (BewG) grundsätzlich eine Bewertung in einem typisierten Ertragswertverfahren vor. Dabei ist eine Bodenwertverzinsung und ein Vervielfältiger zu berechnen, die jeweils anhand des Liegenschaftszinssatzes bemessen werden (§ 185 Absatz 2 Satz 2, Absatz 3 Satz 2, Anlage 21 BewG). Je höher der Liegenschaftszinssatz, desto niedriger ist der resultierende Steuerwert.
Zur Bestimmung des Liegenschaftszinssatzes verweist § 188 Absatz 2 Satz 1 BewG in der auf die hier maßgeblichen Bewertungsstichtage im Jahr 2019 anwendbaren alten Fassung (§ 265 Absatz 12, Absatz 14 BewG) auf das Baugesetzbuch und die ImmoWertV. Allerdings hängt der nach § 185 Absatz 3 Satz 2 BewG maßgebliche Vervielfältiger auch von der Restnutzungsdauer des Gebäudes ab, die für Zwecke der steuerlichen Bewertung nach § 185 Absatz 3 Satz 3, Anlage 22 BewG grundsätzlich auf Grundlage einer typisierten Gesamtnutzungsdauer und einer linearen jährlichen Verminderung bis auf einen Mindestwert von 30 Prozent bemessen wird. Deshalb hat der Gutachterausschuss ab 2018 zusätzlich steuerliche Liegenschaftszinssätze veröffentlicht, die auf dem Restnutzungsdauermodell nach § 185 Absatz 3 Satz 3, Anlage 22 BewG beruhen. Diese Liegenschaftszinssätze hat das FG als nicht mit den gesetzlichen Vorgaben vereinbar angesehen und stattdessen die allgemeinen Liegenschaftszinssätze angewendet.
Im Verfahren 3 K 3022/22 hat das Gericht sich zudem mit ausführlichen verfassungsrechtlichen Einwendungen der Kläger gegen die gesetzlichen Bewertungsregelungen auseinandergesetzt. Diese beruhen darauf, dass § 188 Absatz 2 Satz 2 BewG für den Fall, dass das zu bewertende Grundstück in einem Gebiet liegt, für das ein vom Gutachterausschuss veröffentlichter geeigneter Liegenschaftszinssatz nicht vorliegt – wie dies etwa in den hier maßgeblichen Jahren für die Berliner Bezirke Treptow und Köpenick der Fall ist – Auffang-Liegenschaftszinssätze bestimmt, die sich nach der im Streitzeitraum geltenden Gesetzesfassung für Mietwohngrundstücke auf fünf Prozent beliefen, während die Liegenschaftszinssätze des Gutachterausschusses aufgrund der zwischenzeitlichen Marktentwicklung deutlich niedriger – und damit für die Steuerpflichtigen ungünstiger – waren. Eine Anpassung (hier: Absenkung) der gesetzlichen Auffang-Liegenschaftszinssätze hat der Gesetzgeber erst für Bewertungsstichtage ab dem 01.01.2023 vorgenommen.
Das FG ist den geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht gefolgt und hat es abgelehnt, auf das von den Klägern geerbte Grundstück die gesetzlichen Auffang-Liegenschaftszinssätze anzuwenden, da für dieses ein Liegenschaftszinssatz des Gutachterausschusses vorlag. Es hat in allen drei Fällen die Revision zugelassen.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteile vom 24.04.2024, 3 K 3188/21, 3 K 3055/22 und 3 K 3022/22