27.05.2024
Fertigverpackte Leberwurst: Auch nicht essbare Wursthüllen und -clipse gehören zur Füllmenge
Auch nicht essbare Wursthüllen und -verschlussclipse gehören zur Füllmenge fertigverpackter Leberwurst. Dies hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen entschieden und eine Untersagungsverfügung des Landesbetrieb Mess- und Eichwesen NRW aufgehoben.
Geklagt hatte eine in Nordrhein-Westfalen ansässige Herstellerin von Wurstwaren, in deren Betrieb der Landesbetrieb zwei Füllmengenkontrollen hinsichtlich fertigverpackter Leberwürste in nicht essbaren Wursthüllen vorgenommen hatte. In den untersuchten Chargen mit auf den Verpackungsetiketten angegebenen Nennfüllmengen von jeweils 130 Gramm waren im Mittel 127,7 beziehungsweise 127,4 Gramm essbare Wurstmasse enthalten. Diese Kontrollergebnisse entsprachen den Vorgaben einer Verwaltungsvorschrift zur Füllmengenkontrolle von Fertigpackungen durch die zuständigen Behörden, wonach Wursthüllen und Wurstendenabbinder zum Nettogewicht zählen.
Der Landesbetrieb ging bei den Kontrollen abweichend von seiner langjährigen früheren Praxis davon aus, dass das Gewicht der nicht essbaren Wursthüllen und Verschlussclipse seit Inkrafttreten der europäischen Lebensmittelinformationsverordnung im Jahr 2014 nicht mehr zur Füllmenge der Fertigpackung gehört. Daraufhin untersagte er dem Betrieb, Fertigpackungen mit Wurstwaren, bei denen die nicht essbaren Wurstclipse und -hüllen nicht austariert worden sind, in den Verkehr zu bringen. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht (VG) Münster ab und stützte sich dabei auf eine Begriffsbestimmung in der Lebensmittelinformationsverordnung.
Das OVG hat das Urteil der Vorinstanz geändert und die Untersagungsverfügung aufgehoben. In der mündlichen Urteilsbegründung führte der Vorsitzende aus, dass nach der weiterhin maßgeblichen EWG-Richtlinie von 1976 unter Füllmenge die Erzeugnismenge zu verstehen sei, die die Fertigpackung tatsächlich enthält. Auch Würste, die nach üblichem Handelsbrauch mit nicht essbaren Wursthüllen und Verschlussclipsen gehandelt werden, seien Erzeugnisse im Sinne des Fertigpackungsrechts. Nur dieses Begriffsverständnis ermögliche es, umhüllte Würste entsprechend der allgemeinen Praxis, von der auch das VG ausgegangen und die zwischen den Beteiligten nicht umstritten sei, als nicht fertigverpackt im Sinne der EWG-Richtlinie von 1976 anzusehen und an der Fleischtheke weiterhin ohne Angabe der Nennfüllmenge zur Verwiegung vor Ort anzubieten.
Die Füllmenge einer Fertigpackung sei nach den Vorschriften des deutschen Mess- und Eichgesetzes sowie der deutschen Fertigpackungsverordnung zu bestimmen. Diese Anforderungen setzten Vorgaben der weiterhin geltenden Richtlinie der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) über die Abfüllung bestimmter Erzeugnisse in Fertigpackungen aus dem Jahr 1976 in deutsches Recht um. Mit der seit 2014 geltenden Lebensmittelinformationsverordnung habe der Unionsgesetzgeber die bisher geltende Rechtslage bezogen auf die Bestimmung der Füllmenge von vorverpackten Lebensmitteln und Fertigpackungen mit Lebensmitteln nicht geändert, sondern für vorverpackte Lebensmittel hierauf Bezug genommen.
Nach der weiterhin maßgeblichen EWG-Richtlinie von 1976, so das OVG, sei unter Füllmenge die Erzeugnismenge zu verstehen, die die Fertigpackung tatsächlich enthält. Dabei bestehe eine Fertigpackung aus einem Erzeugnis und seiner vollständigen und mengenerhaltenden Umschließung beliebiger Art. Der Begriff des Erzeugnisses sei ein unionsrechtlicher Begriff, der seinerzeit bereits in den Bestimmungen des Gründungsvertrags der EWG über die Landwirtschaft verwendet worden sei und im Wesentlichen unverändert bis heute gelte (heute: Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV).
Danach umfasse der Europäische Gemeinsame Markt (heute: Binnenmarkt) von Anfang an auch die Landwirtschaft und den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Als solche seien unter anderem die "Erzeugnisse der Viehzucht" zu verstehen. Die Erzeugnisse, für die die Bestimmungen des EWG-Vertrags über die Landwirtschaft galten, waren laut OVG schon damals in einer Liste im Anhang des EWG-Vertrags (heute: des AEUV) unter der Überschrift "Warenbezeichnung" und unter Zuordnung zu den Nummern des Brüsseler Zolltarifschemas von 1950 aufgeführt. In dieser Liste sei unter anderem "Fleisch und genießbarer Schlachtabfall" als landwirtschaftliches Erzeugnis im Sinne der europarechtlichen Vorschriften über den Gemeinsamen Markt genannt. Daneben erwähne die Liste allerdings auch nicht essbare landwirtschaftliche Erzeugnisse.
Auch die Lebensmittelbasisverordnung bringe zum Ausdruck, dass Erzeugnisse nicht essbar sein müssen oder nicht essbare Teile enthalten können, indem sie Lebensmittel als essbare Stoffe oder Erzeugnisse definiert. Nur für Zwecke der Lebensmittelhygiene gehe die Lebensmittelhygieneverordnung in ihren Vorschriften für das Umhüllen und Verpacken von Lebensmitteln davon aus, dass Umhüllung und Verpackung nicht Teil des Erzeugnisses sind.
Ausgehend von der Zielrichtung der EWG-Richtlinie von 1976, Handelshemmnisse beim Handel mit Fertigpackungen zu beseitigen, ist das OVG im Ergebnis davon ausgegangen, dass der Erzeugnisbegriff im Fertigpackungsrecht entsprechend der Begriffsverwendung im Anhang des EWG-Vertrags (und heute des AEUV) sich grundsätzlich an demjenigen der handelbaren Ware orientiert, dabei aber Verpackungen nicht einschließt. Demgegenüber hat es der ausschließlich lebensmittelhygienerechtlichen Unterscheidung von Erzeugnis und Umhüllung beziehungsweise Verpackung keine für das Fertigpackungsrecht durchgreifende Bedeutung beigemessen. Auf der Grundlage dieser Begriffsverwendungen betrachtet das OVG auch Würste, die nach üblichem Handelsbrauch mit nicht essbaren Wursthüllen und Verschlussclipsen gehandelt werden, als solche mit Umhüllung als handelbare Waren und damit als Erzeugnisse im Sinne des Fertigpackungsrechts. Sie seien erst dann als fertigverpackt anzusehen, wenn sie mit einer Umschließung beliebiger Art (Fertigpackung) an die Verbraucher abgegeben werden sollen.
Das OVG hat die Revision, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet, wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.05.2024, 4 A 779/23, nicht rechtskräftig