02.05.2024
EncroChat: EuGH präzisiert Voraussetzungen für Übermittlung und Verwendung von Beweismitteln im grenzüberschreitenden Strafverfahren
Im Zusammenhang mit in Deutschland geführten Strafverfahren wegen illegalen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln mit Hilfe des EncroChat-Diensts für verschlüsselte Telekommunikation präzisiert der Europäische Gerichtshof (EuGH) bestimmte, sich aus der Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen ergebende Voraussetzungen für die Übermittlung und Verwendung von Beweismitteln.
So könne eine Europäische Ermittlungsanordnung, die auf die Übermittlung von Beweismitteln gerichtet ist, die von einem anderen Mitgliedstaat bereits erhoben wurden, unter bestimmten Voraussetzungen von einem Staatsanwalt erlassen werden. Für ihren Erlass sei es nicht erforderlich, dass die Voraussetzungen erfüllt sind, die für die Erhebung der Beweismittel im Anordnungsstaat gelten. Eine spätere gerichtliche Überprüfung der Wahrung der Grundrechte der betroffenen Personen müsse allerdings möglich sein. Außerdem sei ein Mitgliedstaat von einer Überwachungsmaßnahme, die ein anderer Mitgliedstaat auf seinem Hoheitsgebiet vornimmt, rechtzeitig zu unterrichten. Das Strafgericht müsse unter bestimmten Voraussetzungen Beweismittel unberücksichtigt lassen, wenn die betroffene Person nicht in der Lage ist, zu ihnen Stellung zu nehmen.
Der französischen Polizei gelang es mit Hilfe niederländischer Experten und nach Genehmigung durch ein französisches Gericht, den EncroChat-Dienst für verschlüsselte Telekommunikation zu infiltrieren. Der Dienst wurde auf Kryptohandys weltweit für den illegalen Handel mit Betäubungsmitteln genutzt. Das Bundeskriminalamt konnte die so gesammelten Daten der EncroChat-Nutzer in Deutschland auf einem Europol Server abrufen. Auf von der deutschen Staatsanwaltschaft erlassene Europäische Ermittlungsanordnungen hin genehmigte das französische Gericht die Übermittlung dieser Daten und ihre Verwendung in Strafverfahren in Deutschland.
Das mit einem solchen Verfahren befasste Landgericht Berlin hat Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Europäischen Ermittlungsanordnungen. Es hat deshalb dem EuGH mehrere Fragen zur entsprechenden Richtlinie zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Dieser antwortet, dass eine Europäische Ermittlungsanordnung, die auf die Übermittlung von Beweismitteln gerichtet ist, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats (hier: Frankreich) befinden, nicht notwendigerweise von einem Richter erlassen werden muss. Sie könne von einem Staatsanwalt erlassen werden, wenn dieser in einem rein innerstaatlichen Verfahren dafür zuständig ist, die Übermittlung bereits erhobener Beweise anzuordnen.
Der Erlass einer solchen Anordnung unterliege denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen, wie sie für die Übermittlung ähnlicher Beweismittel bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt gelten. Dagegen sei nicht erforderlich, dass er denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen unterliegt, wie sie für die Erhebung der Beweise gelten. Der Umstand, dass im vorliegenden Fall die französischen Behörden diese Beweise in Deutschland und im Interesse der deutschen Behörden erhoben haben, sei insoweit grundsätzlich unerheblich. Jedoch müsse ein Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen diese Anordnung befasst ist, die Wahrung der Grundrechte der betroffenen Personen überprüfen können.
Der EuGH stellt außerdem klar, dass der Mitgliedstaat, in dem sich die Zielperson der Überwachung befindet (hier: Deutschland), von einer mit der Infiltration von Endgeräten verbundenen Maßnahme zur Abschöpfung von Verkehrs-, Standort- und Kommunikationsdaten eines internetbasierten Kommunikationsdienstes unterrichtet werden muss. Die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats habe dann die Möglichkeit, mitzuteilen, dass die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs nicht durchgeführt werden kann oder zu beenden ist, wenn diese Überwachung in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht genehmigt würde. Diese Verpflichtungen und diese Möglichkeiten sollen nicht nur die Achtung der Souveränität des unterrichteten Mitgliedstaats gewährleisten, sondern dienten auch dem Schutz der betroffenen Personen.
Das nationale Strafgericht müsse in einem Strafverfahren gegen eine Person, die der Begehung von Straftaten verdächtig ist, Beweismittel unberücksichtigt lassen, wenn die betroffene Person nicht in der Lage ist, zu ihnen Stellung zu nehmen, und wenn sie geeignet sind, die Würdigung der Tatsachen maßgeblich zu beeinflussen.
Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 30.04.2024, C-670/22