19.04.2024
Mangelhafte Kassenführung: Schätzungen durch das Finanzamt
Landet ein Fall nach einer Betriebsprüfung beim Finanzgericht (FG), geht es dabei häufig um so genannte bargeldintensive Betriebe. Das sind Betriebe, die den überwiegenden Teil ihrer Einnahmen bar vereinnahmen.
Diese Betriebe stünden im besonderen Fokus der Finanzverwaltung, erläutert das FG Niedersachsen. Bereits 1966 habe sich der Bundesfinanzhof (BFH, Urteil vom 12.05.1966, IV 472/60, BFHE 86, 118) mit der Frage beschäftigt, welche Aufzeichnungen ein Kaufmann für eine ordnungsgemäße Kassenführung führen muss und was die Finanzverwaltung nicht verlangen kann.
Mit der Zeit seien die gesetzlichen Rahmenbedingungen und Verpflichtungen für Gewerbetreibende deutlich verschärft worden. Wer eine Registrierkasse nutzen möchte, müsse dabei zahlreiche Aspekte beachten und eine Vielzahl von Unterlagen aufbewahren. Auch das Führen einer so genannten offenen Ladenkasse – auch als Schubladenkasse bekannt – sei mit erheblichen formellen Voraussetzungen belegt. Eine Nichtbeachtung der gesetzlichen Vorgaben kann laut FG Niedersachsen im schlimmsten Fall zu empfindlichen Nachzahlungen führen. Denn eine nicht ordnungsgemäße Kassenführung könne eine Schätzungsbefugnis des Finanzamtes auslösen.
Mit einem Urteil aus dem Jahr 2015 (Urteil vom 23.03.2015, X R 20/13) habe der BFH einige Grundsätze für ordnungsmäßige Schätzungen aufgestellt. Erforderlich sei danach eine dreistufige Prüfung: Es müsse dem Grunde nach eine Schätzungsbefugnis des Finanzamts geben, eine geeignete Schätzungsmethode gewählt werden und schließlich das Schätzungsergebnis plausibel sein.
Das Finanzamt könne nicht nach Gutdünken schätzen. Denn nach § 158 Absatz 1 der Abgabenordnung (AO) seien Buchführung und Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen grundsätzlich der Besteuerung zugrunde zu legen. Dies gelte allerdings nicht, wenn hier Fehler vorliegen. Danach werde das Finanzamt daher zuerst suchen. Eine ordnungsgemäße Begründung der Schätzungsbefugnis setze die Benennung der verletzten Rechtsnorm, die Angabe der Tatsachen, aus denen die Verletzung der Rechtsnorm folgt und die Gewichtung des Buchführungsmangels unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles voraus. Bei der Überprüfung, ob die Buchführung fehlerhaft ist, wird laut FG Niedersachsen zwischen materiellen (zum Beispiel fehlende Buchungen) und formellen Mängeln unterschieden.
Häufiger als die Schätzungsbefugnis gebe die Höhe der Schätzung Anlass zur Klage, wobei der Streit meist schon bei der Wahl einer geeigneten Schätzungsmethode anfängt. Festzuhalten sei, dass eine Schätzung nicht den tatsächlichen Sachverhalt abbilden wird und auch nicht abbilden kann. Das Wesen der Schätzung bestehe in Wahrscheinlichkeitsüberlegungen. Ziel solle es dabei sein, anhand der vorhandenen Anhaltspunkte den Sachverhalt so zu ermitteln, dass die gefundenen Besteuerungsgrundlagen die größtmögliche Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben. Daher seien alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind (§ 162 Absatz 1 Satz 2 AO).
Das Finanzamt könne sich verschiedener Möglichkeiten bedienen, um die Hinzuschätzung zu ermitteln. Eine Methode zur Überprüfung der Vollständigkeit der Einnahmen sei die Erlösnachkalkulation. Diese Art der Hinzuschätzung werde häufig bei Gastronomiebetrieben, aber auch im Dienstleistungsgewerbe (zum Beispiel Handwerksbetriebe und Taxiunternehmen) angewendet. Der BFH habe sich schon mehrfach dazu geäußert, wie eine ordnungsgemäße Erlösnachkalkulation beschaffen sein muss. Bei einer so genannten Ausbeutekalkulation in einem Gastronomiebetrieb erfasse der Prüfer zum Beispiel den gesamten Wareneinkauf eines Kalenderjahres und ermittele unter Berücksichtigung der Speise- und Getränkekarte einen möglichen Verkaufserlös – den so genannten kalkulatorischen Umsatz (BFH, Urteil vom 17.11.1981, VIII R 174/77).
Für ein möglichst genaues Ergebnis sei der Prüfer dabei auf die Mitwirkung des Betriebsinhabers angewiesen, der in der Regel am besten über Betriebsabläufe, Rezepturen und betriebsspezifische Besonderheiten Auskunft geben könne. Er sei gemäß § 200 Absatz 1 AO zur Mitwirkung bei der Feststellung der Sachverhalte verpflichtet.
Wird gegen die Mitwirkungspflichten verstoßen, so mindert sich laut FG die Sachaufklärungspflicht der Finanzbehörde. Daraus folge, dass das Finanzamt bei einer fehlenden Mitwirkung auf Erfahrungswerte aus vergleichbaren Betrieben zurückgreifen kann. Daraus könnten natürlich erhebliche Abweichungen zu dem tatsächlichen Sachverhalt resultieren können, da es sich um statistische Durchschnittwerte handelt. Hierzu könnten unter anderem die Höhe des Eigenverbrauchs, Angaben über die Höhe von Schwund (zum Beispiel Schankverluste, Parierverluste), Verderb, Diebstahl von Waren oder aber die Höhe der Abgabe von Waren an das Personal und an Familienangehörige gehören. Bei diesen Beispielen handele es sich um Waren, die nicht in den Verkauf gelangt sind und die daher auch im Rahmen einer Ausbeutekalkulation unberücksichtigt zu bleiben haben.
Das FG Niedersachsen betont, dass entsprechende Aufzeichnungen bereits in den geprüften Jahren zu führen sind. Denn Einwendungen, mit denen "unübliche" Abschläge geltend gemacht werden, seien durch geeignete Einzelaufzeichnungen glaubhaft zu machen. Eine nachträgliche Erstellung solcher Aufzeichnungen, die im Finanzgerichtsverfahren teilweise zehn Jahre später vorgelegt werden, seien in der Regel weniger glaubhaft als solche, die zeitnah im Betrieb geführt werden und bei Beginn der Betriebsprüfung dem Prüfer übergeben werden.
Auch die Kalkulation nach Anteilen sei eine bedeutsame Kalkulationsmethode zur Ermittlung einer möglichst wirklichkeitsnahen Hinzuschätzung, die angesichts zunehmend zur Verfügung stehender Kasseneinzeldaten immer mehr an Bedeutung gewinnt. Diese Methode stelle eine Variante der Ausbeutekalkulation dar, bei der nur die Getränke auskalkuliert werden. Ansonsten werde auf die betriebsinternen Daten aufgebaut. Der Gedanke hierbei sei, dass das Verhältnis zwischen verzehrten Speisen und Getränken nur geringen Schwankungen unterliegt, da die Gäste typischerweise im Durchschnitt zu jeder Speise eine bestimmte Menge an Getränken zu sich nehmen. Dies rechtfertige es, aus der Höhe der kalkulierten Getränkeumsätze auf die Höhe der Speiseumsätze zu schließen, ohne dass diese gesondert anhand des Wareneinkaufs kalkuliert werden. Das Verhältnis der Getränke zu den Speisen und die Verhältnisse der verkauften Getränke werde dabei den Kasseneinzeldaten entnommen.
Schlussendlich nennt das FG noch die Geldverkehrsrechnung als bekannte Schätzungsmethode. Diese Art der Verprobung, von der es zahlreiche Varianten gibt (zum Beispiel Gesamtgeldverkehrsrechnung, private Geldverkehrsrechnung, Bargeldverkehrsrechnung), basiere auf dem Grundgedanken, dass ein Steuerpflichtiger nicht mehr Geld ausgeben kann, als er eingenommen hat. Die Besonderheit bei dieser Methode sei, dass auch der private Bereich des Betriebsinhabers oder der Betriebsinhaberin durch das Finanzamt betrachtet wird. Unter bestimmten Voraussetzungen könne das Finanzamt zur Erstellung der Geldverkehrsrechnung damit auch auf private Unterlagen und private Bankauszüge zugreifen, wenn es für eine Aufklärung des Sachverhalts notwendig ist.
Das Landesamt für Steuern Niedersachsen biete auf seiner Homepage zahlreiche Merkblätter und Informationsmaterialien zu den gesetzlichen Anforderungen bei einer Kassenführung an, so das FG Niedersachsen abschließend (https://lstn.niedersachsen.de/steuer/steuermerkblaetter_und_broschueren/steuermerkblaetter-broschueren-67732.html).
Finanzgericht Niedersachsen, PM vom 17.01.2024