19.04.2024
Nicht genommener Jahresurlaub: Grundsätzlich durch finanzielle Vergütung zu ersetzen
Ein Arbeitnehmer, der nicht seinen gesamten Jahresurlaub nehmen konnte, bevor er auf eigenen Wunsch aus dem Dienst ausgeschieden ist, hat Anspruch auf eine finanzielle Vergütung. Dieser Anspruch ist laut Europäischem Gerichtshof (EuGH) nicht unter Berufung auf Gründe beschränkbar, die im Zusammenhang mit der Eindämmung öffentlicher Ausgaben stehen.
Ein im öffentlichen Dienst beschäftigter Arbeitnehmer war von Februar 1992 bis Oktober 2016 als Verwaltungsleiter bei einer italienischen Gemeinde tätig. Er schied aus dem Dienst aus, um in den vorzeitigen Ruhestand einzutreten, und verlangte eine finanzielle Vergütung für die während seines Arbeitsverhältnisses nicht genommenen 79 Tage bezahlten Jahresurlaubs.
Die Gemeinde trat diesem Begehren entgegen. Sie berief sich auf eine italienische Rechtsvorschrift, wonach im öffentlichen Dienst Beschäftigte für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung haben. Das mit der Sache befasste italienische Gericht legte die Sache dem EuGH vor. Es zweifelt daran, dass die italienische Regelung mit EU-Recht vereinbar ist. Nach der Arbeitszeitrichtlinie hat ein Arbeitnehmer, der seinen gesamten bezahlten Jahresurlaub vor dem Ende seines Arbeitsverhältnisses nicht nehmen konnte, nämlich Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub.
Laut EuGH kann das Unionsrecht der italienischen Regelung entgegenstehen. Der Anspruch der Arbeitnehmer auf bezahlten Jahresurlaub einschließlich seiner etwaigen Ersetzung durch eine finanzielle Vergütung dürfe nicht rein wirtschaftlichen Überlegungen wie der Eindämmung öffentlicher Ausgaben untergeordnet werden. Demgegenüber entspreche das Ziel in Bezug auf die organisatorischen Erfordernisse des öffentlichen Arbeitgebers für die ordnungsgemäße Planung des Urlaubszeitraums der Zielsetzung der Richtlinie, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen, und ihn dazu anzuhalten, seinen Urlaub in Anspruch zu nehmen.
Somit kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass das Unionsrecht nur dann nicht dem Verlust dieses Anspruchs entgegensteht, wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaub aus freien Stücken nicht genommen hat, obwohl ihn der Arbeitgeber dazu aufgefordert und über das Risiko des Verlusts dieses Anspruchs am Ende eines Bezugs- oder zulässigen Übertragungszeitraums informiert hat. Folglich verstießen das Erlöschen des Urlaubsanspruchs am Ende des Bezugs- oder zulässigen Übertragungszeitraums und – bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – das entsprechende Ausbleiben der Zahlung einer finanziellen Vergütung für den nicht genommenen Jahresurlaub gegen EU-Recht, wenn der Arbeitgeber nicht nachweisen kann, dass er mit aller gebotenen Sorgfalt gehandelt hat, um den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage zu versetzen, den ihm zustehenden bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Das zu prüfen, sei nun Sache des vorlegenden Gerichts.
Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 18.01.2024, C-218/22