05.03.2024
Religionswechsel nach Verlassen der Heimat: Macht Asylantrag noch nicht missbräuchlich
Ein Asylantrag aufgrund eines Religionswechsels nach dem Verlassen des Herkunftslandes kann nicht automatisch als missbräuchlich abgelehnt werden. Dies stellt der Europäische Gerichtshof (EuGH) klar.
Ein Iraner, dessen erster Antrag auf internationalen Schutz von den österreichischen Behörden abgewiesen wurde, stellte in Österreich einen neuen Antrag (so genannten Folgeantrag) auf internationalen Schutz. Er machte geltend, zwischenzeitlich zum Christentum konvertiert zu sein und zu fürchten, aus diesem Grund in seinem Herkunftsland verfolgt zu werden. Daraufhin wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und er erhielt eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
Die österreichischen Behörden stellten fest, dass er glaubhaft gemacht habe, aus "innerer Überzeugung" in Österreich zum Christentum konvertiert zu sein und diese Religion aktiv zu leben. Aus diesem Grund sei er im Fall der Rückkehr in sein Herkunftsland der Gefahr einer individuellen Verfolgung ausgesetzt.
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wurde ihm von den österreichischen Behörden jedoch verweigert. Das österreichische Recht macht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund eines Folgeantrags nämlich davon abhängig, dass der von dem Betroffenen selbst geschaffene neue Umstand Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung ist.
Der österreichische Verwaltungsgerichtshof möchte vom EuGH wissen, ob eine solche Voraussetzung mit der "Qualifikationsrichtlinie" vereinbar ist.
Der EuGH verneint dies. Die Qualifikationsrichtlinie lasse nicht den Schluss zu, dass jeder Folgeantrag, der auf Umständen beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes selbst geschaffen hat, auf eine Missbrauchsabsicht und die Absicht zurückzuführen ist, das Verfahren für die Zuerkennung internationalen Schutzes zu instrumentalisieren. Jeder Folgeantrag sei individuell zu prüfen.
Werde also, wie im vorliegenden Fall, festgestellt, dass der Betroffene glaubhaft gemacht hat, "aus innerer Überzeugung" zum Christentum konvertiert zu sein und diese Religion aktiv zu leben, schließe dies aus, dass er eine Missbrauchsabsicht hegte oder beabsichtigte, das anwendbare Verfahren zu instrumentalisieren. Wenn ein solcher Antragsteller die in dieser Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen für eine Qualifizierung als Flüchtling erfüllt, sei ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Werde hingegen festgestellt, dass eine missbräuchliche Absicht sowie eine Absicht vorliegen, das Verfahren zu instrumentalisieren, könne die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verweigert werden, obwohl die Furcht des Antragstellers, aufgrund der von ihm selbst geschaffenen Umstände in seinem Herkunftsland verfolgt zu werden, begründet ist.
Die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention bleibe jedoch bestehen, so der EuGH. Dem Betroffenen sei in diesem Fall der durch diese Konvention gewährleistete internationale Schutz zu gewähren. Die Konvention verbiete nämlich unter anderem die Ausweisung und Zurückweisung über die Grenzen von Gebieten, in denen das Leben oder die Freiheit des Antragstellers insbesondere wegen seiner Religion bedroht wäre.
Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 29.02.2024, C-222/22