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16.12.2025

Sitzverlegung einer Kapitalgesellschaft: Vermögensrechtliche Wiedergutmachung

Der verfolgungsbedingte Verlust von Aktienanteilen an einer in Berlin (Ost) ansässigen Bank in der NS-Zeit kann in entsprechender Anwendung des § 1 Absatz 6 Vermögensgesetz (VermG) Wiedergutmachungsansprüche begründen, wenn der Sitz der Bank erst nach Ablauf der rückerstattungsrechtlichen Anmeldefristen nach Berlin (West) oder Westdeutschland verlegt wurde. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden.

Die Klägerin macht Entschädigungsansprüche wegen des verfolgungsbedingten Verlusts von Aktienbeteiligungen an einer Berliner Bank im Zeitraum von 1933 bis 1937 geltend. Die Bank hatte ihren Sitz im späteren Beitrittsgebiet in Berlin-Mitte. Nach ihrer Beschlagnahme durch die sowjetische Besatzungsmacht wurde einer ihrer Prokuristen in Berlin (West) zum Notvertreter bestellt. Seine Vertretungsbefugnis erstreckte sich nicht auf das Vermögen der Bank im sowjetischen Sektor. Zu einer satzungsgemäßen Sitzverlegung kam es nicht vor Ablauf der Anmeldefristen für rückerstattungsrechtliche Wiedergutmachungsansprüche.

Das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen lehnte die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche für den verfolgungsbedingten Verlust der Anteile ab. Das Verwaltungsgericht (VG) hat die Klage abgewiesen. Mit der Bestellung des Notvertreters sei ein Sitz der Bank in Berlin (West), im Geltungsbereich des alliierten Rückerstattungsrechts, begründet worden. Deshalb seien das Vermögensgesetz und das daran anknüpfende NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz nicht anwendbar.

Die Revision der Klägerin hatte Erfolg. § 1 Absatz 6 VermG ist laut BVerwG entsprechend anzuwenden, wenn im Beitrittsgebiet entzogene Vermögenswerte vor Inkrafttreten des Vermögensgesetzes, aber erst nach Ablauf der rückerstattungsrechtlichen Anmeldefristen nach Berlin (West) oder Westdeutschland verbracht wurden. Aktienanteile seien am Sitz der jeweiligen Gesellschaft belegen. Dieser habe sich bei der geltend gemachten Entziehung der Aktien in Berlin (Ost) befunden. Zur Sitzverlegung reichte nach Ansicht des BVerwG die Bestellung eines Notvertreters nicht aus. Dazu sei ein konstitutiver Akt, etwa ein Beschluss der satzungsrechtlich zuständigen Organe, erforderlich. Bis zum maßgeblichen Stichtag 30.06.1950 seien diese Voraussetzungen nicht erfüllt gewesen.

Da das angegriffene Urteil keine Feststellungen zu den sonstigen Anspruchsvoraussetzungen getroffen hat, hat das BVerwG die Sache an das VG zurückverwiesen.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10.12.2025, BVerwG 8 C 6.24