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20.06.2025

Betriebsstätten-Finanzamt: Bei fehlerhafter Einbehaltung der Lohnsteuer für beschränkt Steuerpflichtige nicht zu Schattenveranlagung verpflichtet

Der Haftungstatbestand knüpft mit dem Entstehen der Einkommensteuer mit Ablauf des Kalenderjahres (§ 36 Absatz 1 EStG) weiterhin an den Lohnsteueranspruch und nicht an den bereits entstandenen Einkommensteueranspruch an. Folge ist laut Finanzgericht (FG) NIedersachsen, dass damit die vorläufig entstandene Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers Grundlage der Haftung bleibt und nicht dessen Einkommensteuerschuld.

Die Klägerin, eine GmbH, hatte für zwei ihrer beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer (Ehepaar aus den Niederlanden) die Lohnsteuer fehlerhaft nach Lohnsteuerklasse I anstatt nach Lohnsteuerklasse VI einbehalten und an das Finanzamt abgeführt. Im Anschluss an eine Lohnsteueraußenprüfung erließ das beklagte Betriebsstätten-Finanzamt einen Haftungsbescheid über Lohnsteuer und sonstige Lohnsteuerabzugsbeträge für die Zeit von Januar 2016 bis Dezember 2019.

Im Einspruchs- und Klageverfahren begehrte die Klägerin die Aufhebung dieses Bescheides: Die tatsächliche Einkommensteuerschuld der Arbeitnehmer sei niedriger und eine Haftung habe aufgrund der Akzessorietät und des Fehlens eines Strafcharakters auszuscheiden. Zur Begründung legte die Klägerin die Einkommensteuerbescheide 2016 und 2019 sowie die Einkommensteuererklärungen 2017 und 2018 für die Arbeitnehmerin vor. Für den Arbeitnehmer fügte die Klägerin lediglich Berechnungen über die sich ergebende Einkommensteuerschuld sowie niederländische Steuerbescheide zum Nachweis der niederländischen Einkünfte bei.

Das Finanzamt reduzierte daraufhin die Haftungsbeträge lediglich bezüglich der Arbeitnehmerin für 2016 und 2019, da sich aus den Einkommensteuerbescheiden eine gegenüber den Lohnsteuerbeträgen geringere Einkommensteuerschuld ergab. Im Übrigen lehnte das Finanzamt eine weitere Reduzierung der Haftungsbeträge ab. Wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung seien keine Einkommensteuerbescheide 2017 und 2018 erlassen worden. Das Betriebsstätten-Finanzamt sei nicht verpflichtet, insoweit so genannten Schattenveranlagungen aufgrund von Einkommensteuererklärungen oder – wie im Fall des anderen Arbeitnehmers – vorgelegten Steuerberechnungen durchzuführen.

Das FG folgte im Ergebnis dieser Auffassung und wies die Klage als unbegründet ab. Der Wortlaut des § 38a Absatz 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG – "Jahreslohnsteuer") und § 42d Absatz 1 Nr. 1 und 3 EStG sprächen dafür, dass sich die Haftung nach Ablauf des Kalenderjahres auf diese Jahreslohnsteuer beziehe und nicht auf eine zu diesem Zeitpunkt entstehende Einkommensteuer des Arbeitnehmers.

Auch steuersystematisch sei diese Auslegung geboten. § 42d EStG sei Teil der Steuererhebungsvorschriften. Das EStG trenne streng nach Lohnsteuerabzugsverfahren und Veranlagungsverfahren (§ 46 EStG). Das Lohnsteuerabzugsverfahren beschränke sich auf die Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit und habe keine Bindungswirkung für ein späteres Veranlagungsverfahren.

Aus den gleichen Gründen ist nach Auffassung des FG nicht von Belang, ob eine abgegebene Einkommensteuererklärung wie im Streitfall infolge Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht in einen Einkommensteuerbescheid mündet oder sich aufgrund von vorgelegten Berechnungen gegebenenfalls eine geringere Einkommensteuerschuld ergibt. Alles andere würde aus Sicht des Gerichts dazu führen, dass das Betriebsstätten-Finanzamt des Arbeitgebers in solchen Fällen so genannter Schattenveranlagungen durchführen und die Aufgaben des Veranlagungsfinanzamts übernehmen müsste. Eine derartige Vermischung von Lohnsteuerabzugs- und Veranlagungsverfahren sei aber steuersystematisch verfehlt und verfassungsrechtlich nicht geboten. Denn die Haftung für die Jahreslohnsteuer – ohne Betrachtung der tatsächlichen Einkommensteuerschuld – stelle keine Strafsteuer dar. Eine solche Haftung entspreche vielmehr den gesetzlichen Vorschriften.

Das FG Niedersachsen hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Finanzgericht Niedersachsen, Urteil vom 16.04.2025, 9 K 155/22, nicht rechtskräftig