22.12.2023
"Adbusting-Aktion": Rechtfertigt keine Wohnungsdurchsuchung
Der Verdacht einer "Adbusting-Aktion", also des Verfremdens oder Umgestaltens von Werbeplakaten im öffentlichen Raum, sodass ihr ursprünglicher Sinn abgeändert oder lächerlich gemacht wird, rechtfertigt keine Wohnungsdurchsuchung. Eine solche wäre nicht verhältnismäßig, so das Bundesverfassungsgericht (BVerfG).
Eine Frau war von der Berliner Polizei beim Öffnen eines Schaukastens beobachtet worden, aus dem sie das dortige Werbeplakat der Bundeswehr herausnehmen und durch ein optisch sehr ähnliches, verfälschtes Bundeswehr-kritisches Plakat ersetzen wollte. Die Polizei stoppte das Vorhaben. Kurz darauf stellte sie im Berliner Stadtgebiet vergleichbare Fälle veränderter Werbeplakate der Bundeswehr fest. Daraufhin ordnete das Amtsgericht (AG) wegen des Geschehens, bei dem die Frau den Schaukasten geöffnet hatte, die Durchsuchung von deren Wohnung an, die auch erfolgte. Die hiergegen eingelegte Beschwerde blieb erfolglos. Da die Betroffene sich in ihren Grundrechten verletzt sah, legte sie Verfassungsbeschwerde ein.
Hiermit hatte sie Erfolg. Das BVerfG verwies auf den hohen Stellenwert des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung. Die Anordnung der Durchsuchung sei unangemessen gewesen, da die Schwere des Eingriffs außer Verhältnis zu dem mit ihm verfolgten Zweck stehe. Gegen die Angemessenheit sprächen insbesondere die fehlende Schwere der Taten, die geringe Wahrscheinlichkeit des Auffindens der erhofften Beweismittel und deren untergeordnete Bedeutung für das Strafverfahren.
Wegen der Schaukasten-Aktion habe im Zeitpunkt der Durchsuchung zwar der Verdacht bestanden, dass die Beschwerdeführerin eine Straftat begangen hat, nämlich einen versuchten (einfachen) Diebstahl. Der Anfangsverdacht hinsichtlich der Begehung einer vollendeten Sachbeschädigung an dem mitgebrachten, verfremdeten Plakat erweise sich dagegen allenfalls als schwach.
Die Durchsuchungsanordnung habe den Durchsuchungszweck auf die Aufklärung der Schaukasten-Aktion beschränkt. Ob die Durchsuchung zur Aufklärung bislang ungeklärter Fälle des "Adbustings" hätte beitragen können, müsse daher bei der Frage nach der Schwere der Tat daher außer Betracht bleiben. Die zu erwartende Strafe – hätte sich der Tatverdacht des versuchten Diebstahls und der vollendeten Sachbeschädigung im Rahmen der Durchsuchung bestätigt – wäre voraussichtlich niedrig ausgefallen, betont das BVerfG.
Zudem sei es äußerst unwahrscheinlich, dass die Durchsuchung tatsächlich zum Auffinden von Beweismitteln geführt hätte, die den Verdacht hinsichtlich der Schaukasten-Aktion hätten erhärten können. Selbst wenn in der Wohnung der Beschwerdeführerin andere Werbeplakate, Werkzeuge zum Öffnen der Schaukästen, Schablonen und sonstige Materialien zur Umgestaltung von Plakaten sowie Mobiltelefone oder Tablets, die die Umgestaltung der Plakate dokumentierten, gefunden worden wären, so könnten diese Gegenstände allenfalls belegen, dass die Beschwerdeführerin wohl für die "Adbusting"-Szene aktiv ist. Einen Rückschluss darauf, dass die Beschwerdeführerin in Zueignungsabsicht gehandelt hat, ließen diese Gegenstände hingegen kaum zu.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 05.12.2023, 2 BvR 1749/20