23.11.2023
Abiturzeugnis: Darf grundsätzlich keine Bemerkungen über Nichtbewertung einzelner Leistungen enthalten
Mehrere bayerische Abiturienten haben sich erfolgreich gegen die in ihren Abiturzeugnissen angebrachten Bemerkungen gewandt, dass ihre Rechtschreibleistungen nicht bewertet wurden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden, dass diese Bemerkungen gegen Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) verstoßen. Es liege eine Benachteiligung wegen einer Behinderung vor.
Die an Legasthenie leidenden Beschwerdeführer haben 2010 in Bayern das Abitur abgelegt. Die Bemerkungen in ihren Abschlusszeugnissen beruhten auf einer damals in Bayern geübten Verwaltungspraxis.
Legasthenie sei eine Behinderung im Sinne des Artikels 3 Absatz 3 Satz 2 GG, stellt das BVerfG klar. Allein deswegen liege aber noch keine unzulässige Diskriminierung der Beschwerdeführer vor.
Denn eine gleichmäßige Anbringung von Zeugnisbemerkungen über die von allgemeinen Prüfungsmaßstäben abweichende Nichtbewertung einzelner Leistungen wegen behinderungsbedingter Einschränkungen diene der Herstellung von Transparenz über die tatsächlich erbrachten schulischen Leistungen. Sie sei im Interesse eines bezogen auf die Leistungsfähigkeit chancengleichen Zugangs aller Abiturienten zu Ausbildung und Beruf grundsätzlich gerechtfertigt. Unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere bei Ausgestaltung des Abiturs durch den Gesetzgeber als breiter Leistungsnachweis und allgemeine Hochschulreife, könnten solche Zeugnisbemerkungen sogar geboten sein.
Die verfassungsrechtliche Beanstandung der hier angegriffenen Zeugnisbemerkungen sei daher nur der im Jahr 2010 in Bayern geübten diskriminierenden Verwaltungspraxis geschuldet, nach der Zeugnisbemerkungen ausschließlich bei legasthenen Schülern angebracht wurden, nicht jedoch bei Schülern mit anderen Behinderungen oder in Konstellationen, in denen Lehrkräfte aufgrund eines ihnen eingeräumten Ermessens von einer Bewertung von Rechtschreibleistungen in bestimmten Fällen absehen konnten.
Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 22.11.2023, 1 BvR 2577/15, 1 BvR 2579/15, 1 BvR 2578/15